Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
anderes hatte es nicht gereicht.
»Das macht nichts«, versicherte ich.
Reverend Day holte einen winzigen silbernen Fingerhut aus der
Tasche, in den ein Muster aus ineinander verschlungenen Blumen und drei Wörter eingraviert
waren:
Glaube. Hoffnung. Liebe.
Der Fingerhut war wunderschön, schon ein wenig abgegriffen,
wahrscheinlich ein Familienerbstück.
»Das können wir nicht annehmen«, sagte ich.
Sarah winkte ab. »Doch. Es ist ein sehr kleines Geschenk.«
Der Reverend drehte meine Handfläche nach oben und schob die von
Robert darunter. Dann legte er den Fingerhut vorsichtig hinein und erklärte:
»Ganz gleich, was passiert und wohin das Leben, für das Sie sich entschieden
haben, Sie führt: Diese drei Dinge bleiben.«
Er schloss unsere Hände um den Fingerhut.
Nun waren wir auch vor Gott Mann und Frau.
ZWANZIG
DORRIE, GEGENWART
Bei der Geschichte von Miss Isabelles Trauung bekam ich
eine Gänsehaut. Während der Fahrt durchs südliche Kentucky erinnerte ich mich,
wie ich selbst Steve vor fast zwanzig Jahren an einem drückend schwülen Tag vor
dem alten Bruder Willis, meiner Mutter und ein paar Freunden Treue geschworen
hatte. Stevie junior war auch schon mit von der Partie, allerdings noch in
meinem Bauch. Ich liebte Steve, wusste aber nicht, ob er in der Lage wäre, für
eine Familie zu sorgen. Er trieb sich öfter mit seinen Kumpels herum, als sich
zu Hause blicken zu lassen. Sogar die Nacht vor unserer Hochzeit zechte er mit
ihnen durch.
Miss Isabelles schlichte Zeremonie ohne Familie und Freunde, nur mit
dem Reverend und seiner Frau Sarah Day, beeindruckte mich. Sie hatten aus den
richtigen Gründen geheiratet â egal, was die anderen davon hielten.
Viele von den verheirateten Frauen, die zu mir in den Salon kamen,
erkannten ihren Fehler, bevor die Tinte auf den Formularen trocken war. Mir
vertrauten sie Dinge an, die sie sonst niemandem verrieten. Ganz schön
gruselig, was manche Männer mit ihren Frauen anstellen, sobald sie ihnen sicher
sind!
Ich sah oft als Erste die blauen Flecken und Verletzungen. Von den
Behörden erhielt ich Broschüren über häusliche Gewalt und was man dagegen tun
kann. Die legte ich im Wartebereich aus. Nur selten fand eine den Weg in eine
Handtasche, aber die obersten waren abgegriffen und zerlesen. Hoffentlich
merkten sich die betroffenen Frauen die zuständigen Stellen und deren
Telefonnummern. Ich dankte meinem Schicksal, denn Steve war zwar kein
sonderlich guter Ehemann und Vater, aber immerhin nicht gewalttätig.
Doch häusliche Gewalt war nicht das einzige Geheimnis, von dem ich
erfuhr, denn letztlich hatte mein Beruf etwas von dem einer Therapeutin.
Oft kamen Frauen in der Hoffnung zu mir, mit einem hübschen
Haarschnitt oder einer neuen Farbe ihren streunenden Mann zurückzulocken. Ich
sagte keiner, dass das nicht funktionierte, auch nicht mit Abnehmen, Silikon in
den Brüsten, Fettabsaugung oder sonst irgendetwas. Das hatte alles keinen
Einfluss auf die Treue des Partners. Die Frauen meinten, sie wären schuld. Ich
hatte das ja jahrelang ebenfalls geglaubt. Jetzt weià ich, dass ein Mann nur
aus eigenem Antrieb bereit ist, sein Wort zu halten.
Ich hörte meistens bloà zu. Hin und wieder fragte mich eine Kundin
nach meiner Meinung. Dann war ich direkt und ehrlich. Und freute mich, wenn sie
später wiederkam und erzählte, dass sie ihren Partner jetzt am kürzeren Zügel
hielt oder ein völlig neues Leben angefangen hatte.
Am meisten litt ich mit Kundinnen, die mir zuflüsterten, dass sie
einen Knoten in der Brust entdeckt hatten. Oder denen ich sagen musste, da wäre
ein dunkler, schuppiger Fleck auf ihrer Kopfhaut oder ein neues Muttermal an
Nacken oder Schulter. Bei manchen war ich die Einzige, die diese Stellen ihres
Körpers regelmäÃig sah. Oder von den Mammografieterminen erfuhr â sie hatten zu
viel Angst, es ihren Partnern oder Kindern zu sagen, weil es dann Realität
wurde.
Wir freuten uns oder weinten miteinander, wenn sie gute oder
schlechte Nachrichten brachten. Ich kaschierte mit einem flotten Schnitt die
Stellen, an denen ihnen die Haare büschelweise ausgingen, und mehr als einmal
schor ich einer Kundin den Schädel kahl, die beschloss, der schrecklichen
Tatsache mutig ins Auge zu sehen.
Ich war also wie eine Therapeutin, wenn auch ohne Zertifikat, hatte
aber mein eigenes Leben nicht im Griff. Ich wusste nicht, wie
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