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Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Titel: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kibler
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mir: »Wenn Sie einen jungen Mann
kennenlernen, sollten Sie eine Weile warten, bis Sie heiraten und eine Familie
gründen. Zuvor brauchen Sie Zeit zu zweit. Dass ich die nicht hatte, bedaure
ich als Einziges.« Sie bedachte ihre Kinder mit einem liebevollen, aber müden
Blick. Ich fühlte mich ihr nicht nahe genug, um ihr meine Geschichte zu
erzählen.
    Die Arbeit fiel mir leicht. Mr Bartel zeigte mir, wie man die Dias
in die Papprahmen schob, sie festklebte, beschriftete und in kleine Schachteln
packte. Den Geruch nach Pappe und Kleister empfand ich beim Ordnen glücklicher
Erinnerungen für andere als merkwürdig beruhigend.
    Im Laden war es die meiste Zeit über ruhig. Nur hin und wieder ging
die Glocke, wenn ein Kunde eintrat, um seine Fotos abzuholen. Ich erledigte
auch organisatorische Dinge, für die Mr Bartel selbst keine Zeit hatte. Am Ende
erlaubte er mir sogar, Kunden zu bedienen, wenn er zu beschäftigt war.
    Ich überprüfte auch die gerahmten Dias auf Fehler, die Mr Bartel
korrigieren musste, bevor ich sie in die Kästen gab. Wenn genug Zeit war, hielt
ich manche ins Licht, um sie genauer zu begutachten. Meist waren darauf
Landschaften oder kleine Gruppen von Menschen zu sehen. Ich betrachtete ihre
Mienen und Körperhaltung eingehend und versuchte daraus abzulesen, ob sie
glücklich waren oder – wie ich – dunkle Geheimnisse im Herzen trugen.
    Eines Nachmittags im Spätherbst hatte ich Probleme, ein Dia, das
schief zugeschnitten war, in den Rahmen einzupassen. Normalerweise trug ich zum
Schutz der Bilder und meiner Finger weiche Baumwollhandschuhe, doch die
erschwerten mir die Arbeit. Also zog ich einen Handschuh aus, zerkratzte jedoch
das Dia bei dem Versuch, es in den Papprahmen zu schieben, mit dem Fingernagel.
    Leise fluchend vergewisserte ich mich, dass Mr Bartel nichts gemerkt
hatte, schlüpfte hastig in meinen Handschuh und hob das Dia ins Licht, um den
Schaden zu überprüfen. Als ich den langen Kratzer sah, war mir klar, dass ich
ein gutes Bild ruiniert hatte. Ich warf einen Blick auf die vorhergehenden und
nachfolgenden Dias. Wie so oft befand sich das zerkratzte zwischen fast
identischen Aufnahmen. Menschen neigten dazu, eine Szene mehrfach festzuhalten,
um die gelungenste Aufnahme auswählen zu können. Auf diesem zwanglosen
Familienporträt waren dieselben winzigen Figuren zu erkennen wie auf fünf
anderen, in mehr oder minder derselben Pose. Schon vorher war mir aufgefallen,
dass es sich um eine Gruppe von Schwarzen handelte.
    Nach einem Blick in Richtung Mr Bartel steckte ich das Dia in die
Tasche meines Kleids. Er würde nichts davon erfahren. Und der Kunde würde
bestimmt nicht merken, dass eine von mehreren ähnlichen Aufnahmen fehlte.
    Natürlich hätte ich meinen Fehler beichten können, doch ich hatte
Angst, dass Mr Bartel wütend wäre, mir vielleicht den Lohn kürzen oder mir
sogar kündigen würde. Ich begann gerade erst, ein wenig freier zu atmen, weil
ich wusste, dass ich mir das Zimmer bei der Familie Clincke leisten konnte und
noch ein wenig Geld für andere Bedürfnisse sowie hin und wieder für ein
billiges Vergnügen übrig blieb. Außerdem zog mich dieses Bild auf merkwürdige
Weise an, fast so als wäre es ein Wink des Schicksals gewesen, dass ich es
zerkratzt hatte.
    Als ich am Abend mit der Arbeit fertig war, stieß ich einen
erleichterten Seufzer aus. Mr Bartel verabschiedete mich mit seinem üblichen
Winken und einem gemurmelten »Bis morgen früh«, ohne den Blick zu heben.
    Zu Hause zog ich das beschädigte Dia aus der Tasche, um es im Licht
meiner Schreibtischlampe zu studieren. Was war wohl der Anlass für dieses
Erinnerungsfoto gewesen? Ich malte mir aus, die Menschen auf dem Dia wären
meine eigene Familie. Und da ich kein einziges Erinnerungsstück an Robert besaß – weder ein Foto noch den Fingerhut, ja nicht einmal mehr unser Kind –, wickelte
ich es behutsam in ein Taschentuch und versteckte es ganz hinten in der
Schublade meiner Kommode.
    Am folgenden Morgen betrat ich den Laden mit einem mulmigen Gefühl
und ging sofort die Tüten mit den fertigen Aufträgen durch.
    Â»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, erkundigte sich Mr Bartel.
    Â»Ich dachte, ich hätte gestern vergessen, einen Auftragsschein ins
Fach zurückzulegen.«
    Â»Mir ist nichts aufgefallen.«
    Â»Gut.«
    Â»Heute haben Kunden schon in aller

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