zuadraht
abends, an einem Sonntagabend wohlgemerkt, sich eine halbe Stunde von der Arbeit zu verdrücken, mindestens eine halbe Stunde, am besten in einer festgesetzten Pause. Die Frage musste demnach lauten: Wer arbeitet wo genau (aber jedenfalls rund um die Kleinerwerke) an einem Sonntagabend? Das Resultat lag nun vor mir, in Griffweite der Bettkante, festgeschrieben und mit fetten Punkten markiert auf einem Bierblockzettel mit dem Aufdruck Gösser Spezial.
Arzt, Eisenbahner (Lokführer, Verschub, Zugbegleiter . . .), Portier, Koch, Musiker, Bauchredner, Imbissverkäufer, Kellner, Berufskraftfahrer, Biersieder, Botenfahrer, Kühlhauswärter, Bühnenpersonal aller Art (v. Bühnenarbeiter, Fernsehen, Film), Küchenhilfe, Bus – und Straßenbahnfahrer, Call-Center-Assistent, Dompteur, Hebamme, Empfangschef, Taxifahrer (rund um die Uhr), Inspizient, Clown, Bäcker, Journalist, Kabarettist, Kartenkontrolleur (Kino, Theater, . . .), Bürojobs (mit spätem Dienstschluss), Polizist, Drucker, Komparse, Lagerarbeiter (Schichtdienst), Masseur, Bestatter, Nachtmanager (Hotel), Pflegepersonal (Spital, Altersheim . . .), Privatdetektiv, Tankwart (22 Uhr Schluss), Toningenieur, Wachebeamter, Zirkusartist, Badewart, Illusionist, Zusteller, Croupier, Bühnentänzer.
Ruine Gösting, Donnerstagmorgen
Die Schuhe sind die Schwachstelle. Es sind nur billige Joggingschuhe, von denen ich zwei Paar beim Interspar in der Wienerstraße gekauft habe. Selbes Modell, selbe Größe. Das eine trägt Hanser, das andere schützt mich nur schlecht von der Kühle der Nacht. Ich wollte es mir zwischen den Bäumen bequem machen, mich einfach hinknotzen und warten. Ich habe es anfangs auch versucht, es aber bald aufgegeben, weil die Muskeln zu kalt wurden und ich von den Zehen an am ganzen Körper zu frieren begonnen habe. Natürlich friert auch Hanser, aber der merkt es noch nicht. Ich weiß, dass er irgendwann einmal aufwachen wird. Vielleicht durch die Kälte. Für diesen Fall habe ich mir einen runden, faustgroßen Stein zurechtgelegt, mit dem ich ihn wieder träumen lassen werde. Es ist jetzt hell genug, um schon mit den Vorbereitungen für meine Flucht beginnen zu können.
Ich nehme das Seil aus dem Plastiksack und entrolle es. Dann krieche ich auf allen Vieren hinauf zum Zaun, lege ein Ende um den Pfosten und nehme es beim Abwärtsrutschen mit. An meinem alten Standplatz angelangt, halte ich beide Enden in der Hand und verknote sie. Um das Seil vom Pfosten zu lösen, brauche ich später nur den Knoten zu öffnen und an einem Ende zu ziehen. Den Plastiksack, der jetzt bis auf die Patronenschachtel leer ist, stopfe ich in eine Overalltasche. Außer den Spuren von Hansers Schuhen und etwas zerdrücktem Gras werde ich hier nichts zurücklassen, wenn alles vorbei ist. Das Auto natürlich auch. Aber nichts an ihm oder in ihm, absolut nichts weist auf mich hin. Auf Hanser schon. Ich habe seine Finger vor dem Weggehen gegen Türe und Lenkrad gedrückt.
Auch der Schlüssel, den ich in seinem Overall verstaut habe, trägt seine Fingerabdrücke. Selbstverständlich auch das Gewehr. Ich selbst trage schwarze Seidenhandschuhe.
Als Nachtwächter weiß ich, dass Nachtstunden im Wachzustand langsamer vergehen als Tagstunden. In der Dunkelheit oder einer Düsternis, wie sie mich jetzt umgibt, bleibt nur die Zeit. Das Auge findet kaum etwas, das es beschäftigt, und das Denken und Empfinden, wie dies bei Tageslicht der Fall ist, von der Zeit ablenkt. Wenn man will, dass nachts die Zeit rascher vergeht, muss man Hirn und Körper ständig beschäftigen. Der Flecken, auf dem ich mich bewegen kann, ohne in die Tiefe zu stürzen, ist genau sieben Schritte lang. Ich gehe diese sieben Schritte immer wieder. Auf und ab und ab und auf. Dabei lasse ich die Ereignisse der letzten Tage ablaufen, wie einen Film. Manchmal halte ich den Film an, spule ihn zurück und betrachte einzelne Szenen in Zeitlupe. Nein, Schleimböck, du hast nichts. Gar nichts. Nur eine einzige Chance, deinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Hanser ist dein Täter! Stell dich neben seine Leiche, ein Fuß auf dem Brustkorb, zeige ihnen dein Siegergesicht und lass dich mit deiner Beute fotografieren. Wahrscheinlich werden sie dich sogar feiern, obwohl du zur Aufklärung nichts beigetragen hast. Alles ist so geschehen, wie ich es gewollt habe, und du warst ebenso mein Instrument, wie es die Kreatur ist, die neben mir im Gras liegt und meinen Overall und meine Schuhe trägt.
Es wird heller und ich muss mich
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