zuadraht
absteigender Punktewertung fünf Figuren – die Sau, also das Ass, den Zehner, den König, den Ober, auch Dame genannt, und den Unter, auch Bub genannt. Vom nominellen Wert her ergeben zwei Könige und ein Ober eine Sau.“
„Wie bitte?“
„Ja. Der eine Spieler hat neben allerlei Beiwerk drei Tote im Blatt, genau genommen in den Stichen zu verbuchen: zwei Könige, die stehen für den erstochenen Stadtrat und den erhängten Landesrat, und einen Ober, der steht für den erstickten Lateinlehrer. Der König zählt vier Punkte, der Ober drei. Ein gewisser Unterschied muss sein. Zweimal vier plus drei macht elf. Elf Punkte. Der zweite Spieler hat nur eine Karte gestochen, aber das ist die erschossene Landeshauptfrau. Die höchste im Spiel. Also die Sau. Und die zählt. . . ebenfalls elf. Elf zu elf. Damit ist der Gleichstand hergestellt. Die Gleichberechtigung.“
„Das ist Unsinn, Ferri. Und du weißt das. Warum sollten die ersten drei Taten, jene des ersten Spielers also, gleichsam im Namen des zweiten Spielers begangen werden, der ohnehin die Landeshauptfrau – wie sagt man? – stechen darf? Diese Art von Gleichberechtigung ist zweifelhaft, weil sie nur nach innen hin besteht. In einem geschlossenen Kreislauf ohne jede Anbindung an die Außenwelt. Aber genau darum geht es doch, um die Außenwelt. Um die Wirkung der Morde auf die Außenwelt. Deiner Theorie zufolge dürfte nur einer der beiden offiziell, wenn du so willst, für alle vier Taten verantwortlich zeichnen. Und ausgerechnet der stirbt.“
„Ja eben“, rief ich. „Das ist der Preis. Er wählt den Ruhm und muss dafür sterben?
„Er muss sterben. Das hat schon eher etwas, das Sterbenmüssen. Womit wir auch schon bei Variante drei und vier sind.“ „Mag sein, dass es nach Unsinn aussieht. Das tun Ansätze genialer Theorien immer.“
„Variante drei, Ferri!“ Belas Stimme hatte mit einem Mal etwas nachdrücklich Forderndes. „Und hör auf, so dämlich zu grinsen!“
„Also gut. Variante drei: Hanser als Vasall.“
„Welchen Zweck erfüllt ein Vasall, der nie persönlich in Erscheinung tritt außer mit seiner DNS?“, fragte Bela. „Einer, der offenbar nichts tut, außer seinen Namen und sein genetisches Erbmaterial zur Verfügung zu stellen. Der Chef muss jedes Mal selbst Hand anlegen, die Schmutzarbeit erledigen, und das unter dem Namen seines untätigen Vasallen, der seinerseits die Lorbeeren erntet? Absurd, oder?“
„Sehr absurd“, sagte ich. „Bleibt also nur Variante vier? „Variante vier“, wiederholte Bela. „Martin Hanser als Opfer. Womit sich auch die Offensichtlichkeit der gelegten Spuren erklären ließe. Ich schiebe jemandem die Schuld in die Schuhe und weide mich daran. Wie auch an der Hilflosigkeit der Polizei.“ „Die gehbehinderte Nachbarin . . .“, sagte ich.
„Was ist mir ihr?“
„Der Abend, an dem Martin Hanser verschwunden ist. Ansatzlos. Spurlos. Sie hat Motorengeräusche gehört. Und Autotüren auf – und zugehen. Wir gingen bisher davon aus, dass Hanser erwartet und abgeholt wurde. Aber wir hatten nie daran gedacht, dass er nicht freiwillig mitgegangen sein könnte.“ „Manche nennen es Entführung“, sagte Bela. „Was die eine oder andere Ungereimtheit mit einem Mal gereimt erscheinen lässt. Das Sushi-Messer zum Beispiel.“
„Du meinst die falsche Stellung der Fingerabdrücke?“
„Ja. Wie auch die fehlenden Abdrücke auf der Rückseite des Blattes mit dem Monsterschriftzug. Da sind Dinge unter Zwang passiert.“
„Es sind auch Fehler passiert“, sagte ich. „Zu viele Fehler, verstehst du? Die vier Morde sehen aus wie minutiös geplant. Mit dem Anspruch auf absolute Perfektion. Und dann unterlaufen dem Täter solche Lapsus?“
„Jeder Anlauf zur Perfektion scheitert am Anspruch an ihre Absolutheit, Ferri. Bedenke, dass wir es trotz allem mit einem Irren zu tun haben. Ein wirrer Geist, der alle Energie darauf verwendet, seinen krankhaften Trieb zu befriedigen. Und der sich mit jedem Verbrechen, für das er ungeschoren davonkommt, in seiner vermeintlichen Perfektion bestätigt sieht und daran wächst. Ein trügerischer Irrglaube, wie wir wissen. Gäbe es nur perfekte Verbrecher, könnten wir einpacken, denkst du nicht auch?“
„Mag sein.“ Unweigerlich musste ich auf die blutige Gesichtsmasse blicken. „Hanser wird als einzelgängerischer Querkopf beschrieben. Glaubst du, dass einer wie er Kolumnen verfasst, die er gar nicht verfassen will?“
„Alles eine Frage der
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