zuadraht
Doppelbödigkeit deines Sprachwitzes, entsann ich mich deiner Worte, ich darf also aus dem Kommentar von Chefredakteur Stocker zitieren, Herr Leimböck, d ass die Grazer Polizei in einer Verbrechensserie von noch nie da gewesener Brisanz nicht mehr aufzubieten weiß als den hilflosen Leiter der Mordkommission, der ehrvolle Mitbürger verschüchtert und bedroht, anstatt sich auf die Suche nach dem Mörder von Stadtrat Klausberger und Landesrat Moser zu machen, . . . blablabla . . . Und weiter im Text, Herr Kollege Leimböck, und der sich außerstande sieht, die Ermittlungen voranzutreiben, sodass ihm nun, wie aus höchsten Kreisen verlautete, aus Wien eine Profilerin zur Seite gestellt werden muss, um den Herrn Oberstleutnant bei der Hand zu nehmen, und, ich zitiere abermals, mit der Nase auf die richtige Spur zu stoßen. Eine junge Kriminalpsychologin, Herr Leimböck, wie mir die Frau Minister soeben bestätigt hat, die Ihnen und somit auch mir aufs Aug gedrückt wird, Leimböck, WEIL SIE DIENSTALTER TROTTEL ES VERABSÄUMEN, IHRE ARBEIT GEWISSENHAFT ZU ERLEDIGEN, hast du gepoltert in einer Art, dachte ich nun, die wenig des gewohnt Lachhaften gehabt hat, dafür umso mehr unberechenbar Diabolisches. Eine Frau, Leimböck, hast du mit scharfkantigem Tremolo und Hochdruck aus deinem kleinbrüstigen Körper hervorgepresst, eine Frau, Leimböck, und das sage ich völlig wertfrei, die mit Sicherheit mehr vorzuweisen hat als Sie. Weniger geht ja kaum, denken Sie darüber nach über Nacht, Leimböck, bis morgen früh um neun, wo Sie wieder hier bei mir auf der Schwelle stehen und erklären, wie Sie der Causa zuleibe zu rücken gedenken. UND JETZT RAUS, LEIMBÖCK, ICH KANN IHRE BETRETENE ERSCHEINUNG NICHT LÄNGER SEHEN.
„Einfach nach Hause gegangen“, murmelte ich wenig später vor der verschlossenen Tür zu Michelins Reich, wohin ich gegangen war, um unser Gespräch von vorhin fortzuführen, um ein paar würzige Details und eine Kriminalpsychologin aus Wien bereichert, eine Seelenbegutachterin, die den Menschen ihre Expertisen als Prägestempel aufs Hirn drückt, fein sortiert. „Einfach gegangen, der Willi“, murmelte ich nochmals, als ob es Sinn macht, dachte ich, an einem Sonntagabend die Ehe retten zu wollen.
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Keplergymnasium, Sonntagabend
Man kann noch so lange weg von ihr sein, alles Negative, das man mit ihr verbunden hat, verdrängt, aus dem wirklichen, dem späteren Leben, gestrichen haben. Nur das mit dem Geruch schafft man nicht. Eine Schule wird immer wie eine Schule riechen. Wahrscheinlich hat jeder seinen eigenen Schulgeruch. Bei mir sind es Kreide, der muffige, immer feuchte Gestank des ekeligen Tafeltuches, Putzmittel aller Art, Achselschweiß, das billige Parfum der frauwerdenden Mädchen und noch eine ganze Menge anderer Aromen, die nie konkret einzuordnen waren, aber einfach dazugehörten. Schulmief eben. Jetzt, wo ich vor dem hässlichen alten Gebäude stehe, das ein größenwahnsinniger Architekt einst mit lächerlichen Pseudosäulen verziert hat, um ihm den Anstrich eines würdigen Bildungstempels zu verpassen, rieche ich ihn wieder. Es ist der Keplermief. Fünf Jahre lang hat er mich täglich empfangen und durch den Vormittag begleitet. Den Geier hab ich nie gehabt. Dafür andere, die mich gequält haben. Bis du mich verlassen hast, Vater. Da war s dann aus mit Kepler. Kein großer Richter mehr, der die schützende Hand über dessen schlechtesten Schüler ausbreiten konnte. Aufmüpfig war er, der Junge. Akademisch ungeeignet für den Aufstieg in die nächste Klasse. Zum Glück gab es die Tante Grete, die sich um den Buben gekümmert hat. Eine kaufmännische Lehre war genau das Richtige. Dachte sie. Was folgte, war eine Qual in einem Großkaufhaus. Wer zu blöd für die Mittelschule ist, muss eben in eine Lehre gehen, hat sie gesagt. Ich musste mich neben sie auf das muffige Sofa in ihrer muffigen Wohnung in der Brockmanngasse setzen, und sie hat mit ihren knochigen Fingern in meinem Haar gewühlt. Ich hätte es damals gerne lang getragen, wie die meisten anderen Buben, aber sie hat es nicht erlaubt. Eine Kaufmannslehre ist ein ehrenwerter Beruf, hat sie gesagt. Ehrenwert, seit damals hasse ich dieses Wort. Es war kein ehrenwerter Beruf, sondern eine unmenschliche Qual. Meistens musste ich Schachteln mit Kleidungsstücken irgendwohin tragen und es gab Unmengen von dummen Menschen, die sich einbildeten, gebildet zu sein, die es genossen, mir unsinnige Befehle zu erteilen. Immer wieder,
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