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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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doch alle geheißen“, kichert er, geht rasch zur Tafel und nimmt ein Stück Kreide in die Hand.
    „Almer, Auner, Berger“, sagt er und beginnt diese Namen auf die Tafel zu schreiben. Die Kreide knirscht wie damals. Schrill und nervend. Nichts hat sich verändert. Ich kann noch nicht, ich muss ihn schreiben lassen.
    Blaszic, Danninger, Däubling. „Der Däubling,“ sagt er, „ wissen Sie noch, der war ein Totalversager, hat die Matura nicht verdient“. Ich nicke und gehe auf ihn zu. Er dreht mir den Rücken zu und schreibt weiter. Meine Linke hat das Klebeband gefunden. Duck-Tape – amerikanische Qualitätsarbeit, absolut zuverlässig.
    Fasching. Falter. Hanser.
    Hanser, sage ich laut, er dreht sich überrascht um. Alles verläuft nach Plan. Ich stülpe ihm den Sack über den Kopf und umwickle den Hals blitzschnell mit dem silbergrauen Klebeband. Wie daheim an der Kleiderpuppe geübt. Stülpen und Umwickeln dürfen keine fünf Sekunden dauern. Der Überraschungsmoment, der seine Bewegungen einfrieren lässt, dauert länger als erwartet. Ich habe mit zwei bis drei Sekunden gerechnet, genügend Zeit, um seine Hände zu packen und festzuhalten, Ich stehe da und fixiere ihn, und er ist immer noch steif wie eine Stadtparkstatue. Mindestens fünf Sekunden vergehen, bis er sich zu wehren beginnt. Es ist ein mattes Wehren. Kaum der Rede wert. Er konzentriert sich zu sehr auf das Luftholen, und das Sackerl ist bereits leer gesaugt. Das Plastik klebt an seinem Gesicht wie eine zweite Haut. Erst jetzt versucht er, wild um sich zu schlagen, aber ich habe ihn fest im Griff. Es dauert keine Minute, bis er ermattet. Ich hebe ihn hoch und setze ihn in den Lehrerstuhl.
    Das Plastikgesicht starrt mich an. Es ist ein Sackgesicht ohne Augen mit weit aufgerissener Mundhöhle. Ein Sackgesicht mit einem blau-orangefarbenen Firmenlogo. Ein Hinweis, Schleimböck! Aber du wirst ihn nie erkennen.
    *

Etwas war anders als sonst. Veränderungen wie diese sollten auffallen, und einem Kriminalbeamten erst recht, doch endet Spürsinn meist, wo Gewohntes beginnt. Du schließt am späten Sonntagabend mit dem erhängten Landesrat im Gepäck die Tür deines Reihenhauses auf und mit ihr Hirn und Instinkt ab, streifst die Schuhe von den Füßen und siehst nichts. Du gibst den Sinn für kleine Abweichungen an der Schwelle ab und bist bloß empfänglich für Wuchtiges, das sich dir um die Ohren schlägt, je weiter du vordringst ins Innere. Wie diese zwei bordeauxrot schillernden Weintrauben, deren Beeren, in geradezu lasziver Pose hingestreckt, triefend auf dem frisch polierten Furnier des Wohnzimmertisches kauern und die gut gemaserte Holzschicht mit ihren Säften zu tränken drohen. Du siehst erst beim zweiten Fluch, dass sie ein lichtgraues Kuvert beschweren, FÜR FERRI, geschrieben mit blassblauer Tinte, die schon lange nicht mehr FÜR FERRI geschrieben hat.
    Rosa.
     
    Ich weiß, dachte ich, das sind die, wo deine Brüder sich beschwert haben, dass einer wie ich, der keine Ahnung hat, nicht zuviel davon naschen soll, weil der Cabernet auch so schon nur wenig Ertrag liefert. Das ist Qualität, haben sie gesagt, und die wird bei uns verwendet und nicht verschwendet. Für den Kieberer ist sogar der Ausschuss vom Blaufränkischen zu schade, haben sie gesagt, Rosa, dabei habt ihr davon ja wirklich zur Genüge bei euch im, wie nennt es sich so schön, im Blaufränkischland.
     
    Reiseparadeiser, Rosa, es sind russische Reiseparadeiser. Wie oft soll ich. . .
     
    Bravo, Ferri, ich hab‘s ja gewusst.
     
    Das musst du doch verstehen, Rosa.
     
     
    Rosa.
     
     
    Es war die Puppe auf dem Bord neben dem Schuhkästchen. Warum ist sie mir nicht gleich aufgefallen, dachte ich. Warum fällt, was da sein sollte und nicht da ist, eher auf als das, was da ist, aber gar nicht da sein sollte? Oder fällt nicht doch eher auf, was gar nicht da sein sollte und doch da ist, und dabei eine Puppe gar nicht und Weintrauben auf frisch poliertem Furnier umso mehr? Und was ist mit diesen Flecken da auf dem Briefpapier, gleichmäßig rund strukturiert und an den Rändern blass schattiert? Wie Blut, nur ohne Blut eben, dachte ich. Weil Blut rot wäre, bis hin ins Braune, wenn es frisch ist, und dunkelbraun bis hin ins Schwarze, wenn es alt ist, dachte ich weiter. Bei Blutspritzern zeigt die Schleuderspur die Spritzrichtung, wie bei einem Pfeil, und wenn es aussieht wie ein Rufzeichen, dann ist es schräg aufgetroffen, es, das Blut, und bei richtigen Blutstraßen gibt es

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