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bist hingegen vor den Grenzbalken erstarrt und hast sie als Barriere zwischen Gut und Böse stehen lassen. Du warst der Gute, ich der Böse. Du bist Chefinspektor geworden, ich Nachtwächter. So habens die dort oben entschieden.
Es ist zweifellos der angenehmere Weg für sie gewesen. Aber auch der erfolglosere. Und der feige. Ich bin überzeugt, dass du es warst, Schleimböck, der den Journalistenwurm, der sich jetzt in meinem Keller krümmt und seine Fingernägel frisst, weil die Wodkaflasche leer ist, mit jenen Informationen gefüttert hat, die er dann in seine Giftspritze gefüllt und auf mich abgefeuert hat. Erfolgreich, gratuliere! Du hast den Job bekommen, und alle miesen Figuren diesseits und jenseits des Gesetzes haben sich darüber gefreut. Du warst eben immer ein Angenehmer, Schleimböck. Für alle. Besonders für die Gauner, die du nie gefasst hast.
Kleine Erfolge, die gabs natürlich immer wieder. Alles was man dir auf dem Silbertablett serviert hat, hast du mit Bravour gelöst. Auch ein paar halbgroße Räuber und teilvertrottelte Mörder waren darunter. Ich habe deine Karriere genau verfolgt, Schleimi. Dein Glück war es, dass Graz eine der sichersten Städte im Lande ist. Fast nur Kleinkram. Den Mord vor der Disco „Scam“, den man der Russenmafia zuschreibt, hast du nie geklärt, auch die Sache mit dem vergifteten Tanzlehrer nicht, und die verbrannte Leiche aus dem Stadtpark hat noch nicht einmal einen Namen.
Pardon – es hat tatsächlich zwei große Kriminalfälle gegeben, die in Graz verhandelt, aber in Wirklichkeit nie gelöst worden waren. Jack Unterweger, der Gefängnispoet, der mehrere Prostituierte ermordet haben soll, wurde in einem Indizienprozess verurteilt und hat sich bald danach in seiner Zelle erhängt. Dasselbe gilt für den Briefbombenmörder Franz Fuchs. Indizienprozess, Verurteilung, in der Zelle erhängt. Mit beiden hattest du als Ermittler überhaupt nichts zu tun, Schleimi. Damals waren wir beide noch im Streifendienst. Im Gegensatz zu dir hatte ich im Fall Unterweger aber ein paar heiße Spuren, weil ich mich im Milieu umgehört hatte. Aber die großen Herren von der Kripo haben sie nie ernst genommen, weil sie ja nur von einem mickrigen Uniformierten gekommen waren.
Einen wirklich großen Fall wie jenen, den ich dir jetzt biete, hat es in diesem Land noch nie gegeben: prominente Opfer, überwältigende internationale Medienaufmerksamkeit, einen mutmaßlichen Täter, den jeder im Land kennt, der unauffindbar ist, bisher täglich zugeschlagen hat und dies weiterhin tun wird. Dein größter Fall, Schleimi. Aber da ist der Druck von oben, die wollen Resultate. Wie immer. Bald werden die Zeitungen kritischer werden, deine Arbeit in Zweifel ziehen, dann bist du endgültig in der Scheißgasse. Sie werden dir irgendwelche Experten an den Hals hetzen, die dich bei den Ermittlungen unterstützen sollen. In Wahrheit entzieht man dir damit die Kontrolle über den Fall. Oder die Fälle. Es sind ja schon drei. Und es werden mehr.
Damit wächst für mich aber auch der Unsicherheitsfaktor. Neue Ermittler, neue Methoden, neue Fallen, in die ich tappen könnte.
Das Auto? Nein, das Auto ist unauffällig. Das Firmenauto eines Security-Mannes, der exakt um diese Zeit in exakt dieser Region im Dienst ist. Keine Chance. Kein Mensch hat mich gesehen, weil auch ich keinen gesehen habe. Eine Person am Fenster einer Wohnung? Kaum möglich, weil es an den Tatorten keine Fenster gibt. Weder an der Murpromenade, noch im Schlosspark und schon gar nicht im Gymnasium. Fingerabdrücke? Nur von meinem Gefangenen.
Natürlich, es gibt ein Täter-Psychogramm. Unbescholten, harmlos. Aber, und das haben sie mit Sicherheit längst herausgefunden, schwerer Alkoholiker, präpotent, geltungssüchtig. In jedem Menschen sitzt jener Schalter, der ihn in das andere Leben kippen kann. Bei den meisten ist er gut abgesichert. Durch einen anständigen Beruf, ein geordnetes Familienleben, die angeborene Feigheit, Obrigkeitshörigkeit, Gesetzestreue – all das ergibt die so genannte Hemmschwelle. Sie verhindert, dass man das tun kann, was man in Wahrheit gerne tun würde. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Die Hemmschwelle trennt eine verlogene, erzwungene Scheinwelt, in der sich gesetzestreue Feiglinge wie brave Schäfchen tummeln, von jener des tatsächlichen Willens und Strebens. Wer bereit ist, die hundertprozentige Verantwortung für sein eigenes Leben und Tun zu übernehmen, muss die Hemmschwelle
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