Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
den Schlaf, doch später sprachen wir nicht mehr von ihr. Es schien, als wolle man sein Schicksal herausfordern, wenn man um ein Kätzchen trauerte, während alle um einen herum Eltern, Kinder und Geschwister verloren.
Immer mehr Leute zogen aufs Land. Eines Morgens hatte ich eine Besorgung für Sarah zu erledigen und kam in der Tyburn Road vorbei, wo ich mehrere Vierspänner voller Koffer und Diener dahinrollen sah, die schweren Brokatvorhänge zugezogen, um die Insassen vor den Blicken des gemeinen Volks zu schützen. Ich wusste, dass die Reisenden alle entweder Adlige oder zumindest wohlhabende Kaufleute und reiche Grundbesitzer sein müssten. Ganz abgesehen davon, dass sie eine eigene Kutsche und Pferde hatten und ein Landhaus, auf das sie sich flüchten konnten, hatte ich noch nie von einem gewöhnlichen Menschen gehört, dem es gelungen war, eine Gesundheitsbescheinigung zu bekommen.
Ich sah auch eine hübsche, gelb lackierte Kutsche an mir vorbeiflitzen, gezogen von zwei kastanienbraunen Pferden mit grünen Bändern um Mähne und Schwanz und mit einem Kutscher in einer schicken grünen Livree. Weil diesmal die Vorhänge nicht zugezogen waren, konnte ich kurz hineinschauen, und ich war mir sicher, Nelly Gwyn in einem pfauenblauen Kleid darin sitzen zu sehen, denn das Mädchen sah gerade in diesem Augenblick auf, und obwohl die Bänder ihrer Haube ihr Gesicht zum Teil verdeckten, konnte ich einen Blick auf widerspenstiges rotes Haar erhaschen.
Sarah lachte, als ich ihr das erzählte, und sagte, ich hätte nur gesehen, was ich hatte sehen wollen, aber ich war mir sicher, dass es Nelly Gwyn war , denn die Kutsche fuhr in Richtung Salisbury, und wir hatten gehört, dass der königliche Hof sich dorthin begab, um sich noch weiter von London zu entfernen. Mir gefiel die Vorstellung, dass sie einer Einladung Seiner Königlichen Hoheit nachkam, dort für die Gentlemen des Hofes ein paar lebhafte Volkstänze aufzuführen, um sie darüber hinwegzutrösten, dass sie so fern von den Vergnügungen der Hauptstadt waren.
Als ich an diesem Tag von meiner Besorgung zurückkam, die darin bestand, bei einem Kaufmann Rosenöl zu holen, konnte ich meine Ohren nicht vor dem allgegenwärtigen Läuten der Totenglocken verschließen, noch meine Augen daran hindern, im Vorbeigehen die roten Kreuze auf den Türen wahrzunehmen. Die meisten dieser Türen befanden sich in den ärmeren Stadtteilen - aber nicht alle, denn in Black-friars sah ich ein stattliches Haus, das versiegelt worden war, ebenso wie ein großes Anwesen in der Fleet Street. In diesem Haus hatte jemand im ersten Stock eines der Bretter vom Fenster entfernt, und zwei kleine weinende Kinder schauten heraus, ängstlich und verwirrt. Unweigerlich fragte ich mich, was wohl im Haus vor sich ging. Waren ihre Mutter und ihr Vater beide an der Krankheit gestorben? Wer kümmerte sich um sie? Es gab keine Möglichkeit, das herauszufinden, und es schien sich auch niemand Gedanken darüber zu machen.
Zwei weitere Dinge fielen mir auf. Zum einen bemerkte ich den regen Betrieb auf den Friedhöfen, denn auf allen gingen mindestens zwei Totengräber ihrer Grauen erregenden Tätigkeit nach, und manche Kirchhöfe waren so oft für neue Beerdigungen umgegraben worden, dass sie aussahen wie frisch gepflügte Felder. Zum anderen stach mir die Unmenge Plakate ins Auge, die für Schutzmittel gegen die Krankheit warben. Sie waren an beinahe allen Bäumen und Fensterläden angeschlagen und boten Amulette, Pulver, Tränke, Glücksbringer, Pillen und Zaubersprüche an. Es gab einige Schutzmittel aus Kräutern, von denen Tom mir bereits erzählt hatte, sowie andere, die aus allerlei seltsamen Dingen gewonnen wurden: Pulver von getrockneten Kröten, ein bisschen Quecksilber in einer Walnussschale oder ein Talisman aus einem Bibelvers, der auf eine bestimmte mystische Weise geschrieben wurde. Alle versprachen Schutz vor der
Seuche und davor, dass bösartige Körpersäfte den Körper angriffen.
Aber welches von ihnen würde helfen?
Für welches sollte man sich entscheiden, wenn so viel auf dem Spiel stand?
Der Anblick dieser ganzen Anschläge und Versprechungen erinnerte mich an Tom. Seit unserem Ausflug hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Darum nahm ich mir fest vor, so bald wie möglich zu Doktor da Silvas Laden zu gehen und Tom nach dem Trank zu fragen, den er für mich hatte zubereiten wollen. Das war zwar ein guter Grund, aber in Wirklichkeit war es einfach so, dass ich trotz allem, was
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