Zuckersueßes Chaos
Wollte er mich provozieren oder dachte er, er hätte es nicht nötig, zuerst anzugreifen, weil ich eine Frau war?
»Ich gebe zu, dass ich dich unterschätzt habe, weil du eine Frau bist, aber den Fehler werde ich nicht noch einmal machen.« Er umschlich mich weiter, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, als wäre er Mr. Miyagi und immer, wenn ich ihm ins Gesicht sah, zwinkerte er mir listig zu. Okay, er wollte mich eindeutig provozieren, doch darauf würde ich nicht reinfallen. Ich täuschte einen Hieb mit der Linken vor und als er in Abwehrhaltung ging und seine rechte Seite vernachlässigte, schlug ich mit der anderen Faust zu. Ich sah Jason schon am Boden liegen und die Umstehenden feixen und klatschen, weil er sich von einer Frau hat besiegen lassen, doch ich unterschätzte ihn maßlos. Im nächsten Moment hatte er meinen Trick durchschaut, schlug mir auf den rechten Arm, so dass er schlaff und nutzlos wurde und warf mich mit einem komplizierten Griff zu Boden. Ich fiel rücklinks auf die Matte und kostbare Luft entwich meinen Lungen.
»Und festgenagelt«, sagte er mit einem triumphierenden Lächeln und hielt mich am Boden fest. »Ich muss zugeben, ich hätte nicht gedacht, dass du so leicht flachzulegen bist.« Ich überging die zweideutige Anspielung und erklärte:
»Es ist sieben Jahre her, dass ich das letzte Mal geboxt habe. Das war nur Anfängerglück.« Er ließ von mir ab, so dass ich mich aufrichten konnte und sagte:
»Ich bin kein Anfänger.« Und damit ging der Kampf weiter.
Kapitel 9
Dass Jason kein Anfänger war, davon konnte ich mich die nächsten zehn Minuten selbst überzeugen, denn ich landete keinen einzigen Treffer. Jason dagegen warf mich immer wieder zu Boden und das auf so zahlreiche Art, dass ich mich fragte, wer sich diese ganzen Griffe und Techniken überhaupt ausgedacht hatte. Doch so sehr meine Gliedmaßen auch schmerzten und ich nach Atem rang, ich stand immer wieder auf - was ihn zumindest anerkennend nicken ließ.
»Offenbar hat man dir nie beigebracht, dass es manchmal besser ist, aufzugeben,« bemerkte er und wischte sich die Stirn. Ha! War das etwa ein erstes Anzeichen von Erschöpfung? Ich musste also nur noch etwa fünf Stunden so weitermachen und er würde zumindest ins Hecheln kommen. Gott, ich war ihm hoffnungslos unterlegen und es ärgerte mich, dass ich ihn so unterschätzt hatte. Vor allem aber ärgerte mich, dass ich vorher nicht wenigstens ein bisschen geübt hatte. Dann hätte ich vielleicht mehr als nur einen unfairen Treffer landen können.
»Vergiss es. Lieber sterbe ich«, gab ich schnaufend zurück.
»Claire?«, erklang eine mir bekannte Stimme hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um und entdeckte Taylor, der sich uns verwundert näherte. Auch er trug ein TankTop, das seine definierten Arme zur Geltung brachten und eine lockere Trainingshose. Die blonden strubbeligen Haare hatte er mit einem Stirnreif nach hinten fixiert.
»Was soll das werden?«, fragte er und sah von mir und meinen Boxhandschuhen zu meinem Gegner.
»Jason verprügeln. Hilfst du mir?«, fragte ich atemlos. Er legte sein Handtuch über ein Trainingsgerät und schüttelte lachend den Kopf.
»Ich bin doch nicht verrückt. Jason hat den sechsten Dan im Taekwondo.« Damit lehnte er sich gegen den Stepper und beobachtete uns.
»Aber ich schau dir gern dabei zu, wie du dein Glück versuchst«, fügte er breit lächelnd hinzu.
»Sechster Dan?«, wiederholte ich und wandte mich beeindruckt zu meinem Gegner um, der mir frech zuzwinkerte. Mit Taekwondo kannte ich mich zwar nicht sonderlich gut aus, aber der sechste Dan war der erste Meistergrad der japanischen Kampfsportarten. Das wusste ich, weil mein Cousin immer von einem Meistergürtel geträumt hatte, aber nie über den fünften schwarzen Gürtel hinausgekommen war. Ich gab es ja nur ungern zu, aber jetzt war ich schon etwas beeindruckt. Dass erklärte zumindest, warum ich bisher nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte. Der Vergleich zu Mr. Miyagi kam mir plötzlich gar nicht mehr so lächerlich vor.
»Habe ich vergessen, das zu erwähnen?«, fragte Jason und genoss meinen ehrfürchtigen Blick mit sichtlichem Vergnügen.
Dann nahm er einen Schluck aus seiner Wasserflasche und beobachtete mich dabei wachsam, als fürchte er einen weiteren hinterhältigen Angriff. Und so dumm war das gar nicht von ihm, denn nun, da mir auch Taylor bestätigt hatte, dass ich nicht den Hauch einer Chance haben würde, malte ich mir tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher