Zuckersueßes Chaos
sie nicht ran.
»Arghh«, rief ich frustriert und hätte das Handy am liebsten gegen den nächsten Baum geworfen. Dann würde ich allerdings wirklich im Dunkeln tappen und da mir mein Geist jetzt schon finstere Gestalten vorgaukelte, wollte ich nicht auch noch auf meine Lichtquelle verzichten. Das Problem war nur, dass ich nicht einfach geradeaus weitergehen konnte, weil die Straße mit der Bushaltestelle endete und wieder zurückführte. Wenn ich also zu weit rechts lief, würde ich einfach weiter in den Wald hineinlaufen, der sich, ganz nebenbei bemerkt, um mehrere Kilometer erstreckte. Lief ich jedoch zu weit links, käme die nächste Haltestelle ebenfalls erst in einigen Kilometern Entfernung. So oder so, ich musste die Haltestelle finden.
Als ein ohrenbetäubender Knall über mir erklang, fuhr ich kreischend zusammen. In der nächsten Sekunde schüttete es wie aus Eimern.
»Na klar. Ein Wolkenbruch. Ausgerechnet jetzt. Warum auch nicht«, rief ich verärgert und marschierte weiter. Doch damit nicht genug, denn kaum war ich weitergelaufen, fing es auch noch zu blitzen und zu donnern an und der Himmel entlud sich heftiger denn je über mir. Ich war binnen einer Minute vollkommen durchnässt und hätte heulen können über so viel Pech. Ich wollte doch nur ein gemütliches Picknick machen, dachte ich verzweifelt und setzte meinen Weg fort. Der Regen erschwerte meine Sicht, weil ich mir alle Sekunden über die Augen wischen musste, um überhaupt etwas zu erkennen, hinzu kam peitschender und beißend kalter Wind, der mich ebenfalls behinderte. Panisch dachte ich an die Wettervorhersage heute Morgen.
Dort hatte man schwere Unwetter vorhergesagt, allerdings erst für morgen, nicht heute. Konnte man sich denn auf niemanden mehr verlassen? Zehn weitere Minuten, ich hätte schon längst die Bushaltestelle erreichen müssen, wendete sich auch noch der Waldboden gegen mich, der von dem schüttenden Regen aufweichte und heimtückische Schlammlöcher für mich parat hielt. Und so stolperte ich über Wurzeln, rutschte auf nassen Blättern aus und blieb mit meinem Rucksack sogar an Ästen hängen.
»Gib. Ihn. Her!«, rief ich wütend und verzweifelt zugleich und entriss ihm die Tasche mit solcher Wucht, dass ich nach hinten und in ein großes Schlammloch fiel. Als ich mich aufgerappelt hatte, lachte ich aus vollen Hals und hätte mich irgendjemand beobachtet, hätte er mich zweifellos für verrückt gehalten. Doch ich war wütend, verängstigt und ich glaube, ich stand sogar etwas unter Schock, denn ein Ende meines Dilemmas war nicht in Sicht. Der Regen wurde immer stärker, der Wind immer aggressiver und auch das Donnergrollen schien immer näher zu kommen. Den Oberkörper von Schlamm besudelt, zog ich meine Sweatjacke aus und stopfte sie in den Rucksack. Dann wischte ich mit Hilfe des Regens den Dreck von meinem Körper und marschierte weiter. Irgendwann, ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, stolperte ich über eine weitere Wurzel und blieb liegen. Ich konnte nicht mehr.
Meine Glieder waren eingefroren, mein Kopf dröhnte und meine Knie waren schon ganz wund vom ständigen Hinfallen. Außerdem zehrte es ungemein an der Energie, über kleine Hügel, große Pfützen und Wurzeln zu steigen. Und auch wenn ich überhaupt nicht der Typ dazu war und nur schwer zu Tränen gerührt werden konnte, konnte ich diese nicht länger zurückhalten. Ich weinte allerdings mehr aus Verzweiflung und Wut, statt aus Angst. Vergeblich versuchte ich mich an die Stelle zu erinnern, an der Jason sein Auto geparkt hatte und welchen Schleichweg wir damals genommen hatten, um aus den Wald zu kommen. Aber natürlich, Jason! Wie vom Blitz getroffen erinnerte ich mich daran, dass ich ja seine Nummer eingespeichert hatte. Ihn konnte ich anrufen. Gott, warum war ich nicht früher darauf gekommen? Nun, die Antwort darauf kannte ich nur allzu gut. Denn seit ich mich Jason an den Hals geschmissen hatte, ging er mir weitestgehend aus dem Weg. Ich sah es in seinen Augen. Es hatte sich eine Kluft zwischen uns aufgetan, die nicht einmal Vicky, so sehr sie sich auch in den letzten Tagen bemüht hatte, schließen konnte. Es war nicht so, dass er mich ignorierte oder gar unfreundlich war, im Gegenteil.
Er war nett, höflich, hatte aber an Witz verloren und gab auch keine anzüglichen Kommentare mehr von sich. Und so schwer es auch war, zuzugeben, aber irgendwie vermisste ich seine alte Art. Er hatte mich zwar stets auf die Palme getrieben und ganz neue
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