Zug um Zug
gekennzeichnet – und zum Teil müsste man sagen, sie krankt daran –, dass für sie die Sozialversicherung unendlich viel wichtiger ist als die Aufsicht über die geldgierigen Investmentbanker und ihresgleichen.
Steinbrück: Man kann es noch schärfer formulieren, Helmut: Man reüssiert in der SPD am besten mit sozialpolitischen Themen, aber nicht mit finanzpolitischen Themen. Das heißt, der innerparteiliche Auswahlmechanismus befördert am ehesten diejenigen, die die Herzensthemen der SPD im sozialpolitischen oder im sozialversicherungspolitischen Bereich aufgreifen, aber nicht das harte Brot der Finanzfragen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Union inzwischen so tut, als seien die sozialdemokratischen Kernthemen bei ihr in guten Händen.
Schmidt: Richtig ist, dass die Unionsparteien einschließlich der CSU sich sehr stark dem Prinzip des Sozialstaats als wirklich praktiziertem Bekenntnis angenähert haben. Auch die Führungspersonen der CDU/CSU haben schon vor Jahrzehnten begriffen, dass die Demokratie in Deutschland nur funktioniert, solange der Sozialstaat funktioniert. Und entsprechend haben sie gehandelt. Das fängt schon 1957 mit Adenauer an, der gegen den Willen des heute hochgelobten Ludwig Erhard die Dynamisierung der staatlichen Rente durchsetzte, übrigens ebenso gegen den Willen Erhards die europäische Integration in Deutschland hoffähig gemacht hat. Die CDU/CSU war seit den fünfziger Jahren in einer umfassenderen Weise eine Volkspartei als die damalige Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie ist entstanden aus der Arbeiterbewegung, und sie hat noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein das Gepäck mitgeschleppt, das da hieß: Klassenkampf und Klassengesellschaft. Es hat lange gedauert, bis die heutige Sozialdemokratie, nicht nur in ihrem öffentlichen Gebaren, sondern auch in ihrer Selbstwahrnehmung, davon Abstand genommen und sich weiter geöffnet hat. Der Wendepunkt war das Godesberger Programm von 1959, aber durchgesetzt hat sich die Entwicklung eigentlich erst im Laufe der anschließenden Jahrzehnte.
Steinbrück: Es ist den konservativ-liberalen Parteien leider oftmals gelungen, die SPD zu diskreditieren. Alle Wege führen nach Moskau, Freiheit statt Sozialismus, Nivellierung statt Leistung – das waren so die Parolen. Der probate und inflationär erhobene Vorwurf lautete, die SPD sei im Sinne des marktwirtschaftlichen Glaubensbekenntnisses ein unsicherer Kantonist. Vor allem ist es den konservativ-liberalen Parteien gelungen, in die breite Bevölkerung hinein den Verdacht zu projizieren, die Sozis könnten nicht mit Geld umgehen. Nach dem Motto: Wenn die Sozialdemokraten in der Wüste regieren, dann wird der Sand knapp. Das ist als Propaganda über lange Jahre ausgesprochen erfolgreich gewesen. Und hat viele Sozialdemokraten zu einem Rückzug auf das angestammte Feld der Sozialpolitik veranlasst – statt genau da tätig zu werden, wo die Konservativ-Liberalen dominieren, im Mittelstand ebenso wie in den Vorstandsetagen von Unternehmen des produzierenden Gewerbes oder auch der Banken.
Wir haben dieses gesellschaftliche Feld zu wenig beackert. Unbenommen der Persönlichkeiten, die dort hohe Kompetenz gehabt haben, von Alex Möller über Karl Schiller – ich füge den Namen Helmut Schmidt schlicht hinzu – bis zu Gerhard Schröder oder Wolfgang Clement. Das waren jedoch nur Einzelne, und deshalb wurde die Sozialdemokratie insgesamt noch nicht mit Zuspruch belohnt.
Mein Eindruck ist im Augenblick, dass die Regierung Merkel den konservativen Wirtschaftsbonus verspielt. In einem Zeitenwechsel, der nach einer Rückbesinnung auf Solidität, Stetigkeit und Ausgleich verlangt, könnte die Stimmung kippen, weil die derzeitige Wahrnehmung der Bundesregierung in den disponierenden Kreisen der Wirtschaft eine überaus kritische ist.
Schmidt: Ja! Natürlich ist für die christlich-demokratischen Parteien mit der Implosion der Sowjetunion ein ganz wichtiges Argument weggefallen. Es hat keinen Sinn mehr, heute auf Wahlplakaten und in öffentlichen Reden dem deutschen Wählervolk zu erzählen, dass alle Wege des Sozialismus nach Moskau führen. Das war ein wichtiger Bestandteil der Erfolgsgeschichte der christlich-demokratischen Volksparteien. Der ist weggefallen, Gott sei Dank. Das hat aber nicht automatisch zur Folge, dass die SPD nunmehr in ausreichender Zahl Menschen in politische Stellungen gebracht hat, die ihrerseits wissen, wie eigentlich eine Finanzaufsicht gestaltet
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