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Titel: Zugriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Pallay
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Geiselnahme ohne Blutvergießen beendet werden konnte. Offensichtlich war er immer noch erbost, weil ich eine Besprechung mit ihm abgelehnt hatte, und mochte selbst jetzt nicht zugeben, dass ein Abbruch der Verfolgung Unsinn gewesen wäre.
    In dieser Situation kam mein Chef, der über Funk den Einsatz von zu Hause aus verfolgt hatte, wie gerufen. » Gut gemacht, Leute! Geiselnahme lehrbuchmäßig gelöst. Besser geht es nicht. Gratulation!«, rief er uns schon von Weitem entgegen, beglückwünschte uns dann mit Handschlag, bevor er den Einsatzleiter begrüßte. Der änderte postwendend seine Meinung und rang sich ebenfalls zu einem Lob durch. » Respekt! Gute Arbeit«, meinte er plötzlich. Von diesem Zeitpunkt an hatte ich bei ihm einen Stein im Brett. Noch oft, wenn wir miteinander zu tun hatten, erwähnte er den » hervorragenden Zugriff« der SEK -Beamten, bei dem niemand zu Schaden gekommen sei.
    Auch mir ist der Einsatz unvergesslich geblieben. Immer wenn ich in Schwabing bin, wird jene wilde Verfolgungsjagd wieder lebendig. Sie war ebenso verrückt wie die Geiselnehmerin, die übrigens in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob sie einfach bloß unter Verfolgungswahn litt und völlig unmotiviert handelte oder ob sie sich den Arzt aus irgendeinem unbekannten Grund gezielt ausgesucht hatte. In Fällen wie diesem würde man manchmal gerne mehr wissen, doch zumindest offiziell erfuhren wir nie, was mit den von uns gefassten Personen weiter geschah und welche Motive ihrer Tat zugrunde lagen. Für uns war in der Regel mit dem Zugriff die Sache erledigt.

Für die Presse war sie ein gefundenes Fressen, diese Geiselnahme in der JVA München, dem größten Gefängnis Bayerns, das zudem als ausbruchsicher galt. Man warf der Justiz Fehler und Versäumnisse vor, und auch wir, die wir die Befreiung der Geisel durchführten, gerieten in die Kritik, weil das Opfer dabei schwer verletzt wurde. Jedenfalls brachte es der Albaner Jerko B. fertig, das Sicherheitsdenken der bayerischen Justiz Mitte der Achtzigerjahre in seinen Grundfesten zu erschüttern.
    Der 47-Jährige, angeklagt wegen Raubes und zweifachen Mordes, wartete in Stadelheim auf seinen Prozess. Die Münchner JVA , die Zellen für rund 1700 Insassen bietet, wird überwiegend mit Untersuchungshäftlingen oder sogenannten Kleinkriminellen belegt, die eine Kurzzeitstrafe absitzen. Schwerverbrecher werden in der Regel nach ihrer Verurteilung nach Straubing gebracht. Dieses Schicksal drohte nun dem Albaner, das wusste er, und genau das wollte er verhindern.
    Dann wäre es nämlich ein für alle Mal vorbei mit dem relativ lockeren Häftlingsalltag von Stadelheim. Der war allein schon dadurch bedingt, dass täglich Häftlinge bei Gericht vorgeführt werden mussten und andere Besuche von ihren Anwälten empfingen. Und für die minder schweren Jungs gab es Resozialisierungsmaßnahmen. Es herrschte also ein reges Kommen und Gehen, und darin erkannte Jerko B. seine Chance. Bei ihm ging nämlich ebenfalls sein Anwalt ein und aus. So auch an diesem Augustnachmittag, als er eine Geisel nahm.
    Natürlich gab es Sicherheitsvorkehrungen, die das eigentlich verhindern sollten. Etwa gesonderte Besucherzellen, zu denen die Häftlinge nur Zugang über einen speziellen, eigens abgesicherten Gang hatten, während Rechtsanwälte oder Angehörige den sogenannten Besuchergang auf der anderen Seite benutzten. Zudem wurden Häftlinge wie Besucher von Justizangestellten begleitet, um diverse Zwischentüren auf- und sogleich wieder zuzusperren. Ich hatte das im Rahmen einer Besichtigung für das Spezialeinsatzkommando bereits gesehen und die Sicherheitsvorkehrungen als vorbildlich empfunden. Nicht im Traum wäre mir eingefallen, dass wir hier einmal zum Einsatz kommen könnten. Außer bei einer Häftlingsrevolte vielleicht, sicher aber nicht, um einen Anwalt aus der Hand eines Gefängnisinsassen zu befreien.
    Bis 14 Uhr hatte B. eine Unterredung mit seinem Rechtsanwalt und saß anschließend in dem an den kleinen Besprechungsraum angrenzenden Wartebereich, von wo aus Justizangestellte ihn in seine Zelle zurückbringen sollten. So war es zumindest gedacht, aber dem Albaner gelang es, sich irgendwo in den Häftlingsgängen zu verstecken. Er hatte wohl auf eine Gelegenheit wie diese gewartet, wenn er einmal eine Weile unbeobachtet sein würde. Jedenfalls nutzte er die Gunst der Stunde, als in Besucherzelle Nummer 16, in der Rechtsanwalt Franz S. seine

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