Zugriff
einigermaßen vertraut. Also wieder nichts mit Ausschlafen. Um 6.30 Uhr stieg ich aus dem Bett, duschte, ging zum Frühstück und nahm kurz Kontakt mit meinen Leuten auf dem Plateau auf. Nichts Neues, erfuhr ich. Kaum hatte ich mir allerdings eine Tasse Kaffee geholt, meldete sich der Truppführer: » Wir haben eine Spur entdeckt, die von der Abwurfstelle in nördlicher Richtung zu einem Dickicht führt. Es könnte sich um das verlassene Versteck des Erpressers handeln. Von dort besteht nämlich Sicht auf das Plateau.«
Schwer zu schlüsseln, diese Information. Zwar mochte es durchaus sein, dass wir die Spur in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnten, aber Bewegungen oder Geräusche im Gebüsch, die hätten wir bestimmt registriert. Wie auch immer. » Jetzt ist es eh zu spät«, funkte ich nach oben. » Nach dem Einsatz schick ich die Spurensicherung hoch. Haltet aus, ihr werdet bald abgelöst.«
Dann wenige Minuten später der nächste Funkspruch, der meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schießen ließ. » Täter konnte trotz Abgabe eines Warnschusses flüchten!« Was war passiert? Die Zugriffskräfte am Berg beobachteten gegen sieben eine männliche Person im Jogginganzug, die sich zielstrebig dem Plateau näherte. Der Unbekannte habe den Geldsack betrachtet, sich mehrmals umgeschaut und sei dann auf eine Mulde zugegangen, in der sich einer unserer Leute versteckte. Vieles, wenn nicht gar alles sprach dafür, dass es sich um den Gesuchten handelte. Die frühe Uhrzeit, das auffällige Verhalten. Zudem traf man in solcher Höhe eigentlich keine Jogger an.
All das dürfte auch dem Kollegen in seinem Versteck durch den Kopf geschossen sein. Jedenfalls sprang er mit gezogener Pistole aus der Mulde und schrie: » Halt, bleiben Sie stehen, Polizei!« Der Jogger dachte nicht daran, sondern gab Fersengeld und rannte bergab davon. Ein Indiz mehr, dass es sich um den gesuchten Erpresser handelte, und so nahmen zwei unserer Männer unverzüglich die Verfolgung auf. Weil sie allerdings durch ihre dicke Kälteschutzbekleidung am raschen Vorwärtskommen gehindert wurden, vergrößerte sich der Abstand zu dem leichtfüßigen Jogger immer mehr. Einer der beiden gab einen Warnschuss ab, doch das beeindruckte den Flüchtenden nicht, und irgendwann war er entschwunden.
» Wir müssen sofort eine Fahndung einleiten«, sagte ich. Nicht nur bei mir, auch bei der Einsatzleitung klingelten die Alarmglocken. Unisono waren wir überzeugt, dass wir kurz vor dem Ziel standen und dem Erpresser endgültig das Handwerk legen konnten. Noch auf dem Kasernenhof teilte ich die beiden Hundertschaften ein und wies ihnen ihr Suchgebiet zu. Zugleich schwärmten SEK -Gruppen auf den umliegenden Staats- und Forststraßen aus und führten wie schon am Abend zuvor Fahrzeugkontrollen durch. Auch ein Fährtenhund wurde eingesetzt.
Während das alles anlief, erstellte ein Computerbildzeichner des Bayerischen Landeskriminalamts ein Phantombild. Allerdings waren die Aussagen der Kollegen nicht sonderlich präzise, denn sie hatten den Jogger überwiegend auf der Flucht gesehen. Sicher schien nur, dass es sich um einen 35- bis 40-jährigen Mann mit dunklen Haaren und Geheimratsecken, starken Augenbrauen und einem buschigen Schnurrbart handelte. Trotzdem bekamen wir schnell einen Hinweis.
Die Euphorie war groß, die darauffolgende Enttäuschung noch größer. Bereits nach kurzer Vernehmung wurde klar, dass es sich nicht um den gesuchten Erpresser handelte. Der gute Mann, der gerne mal einen über den Durst trank, pflegte seinen Kater am nächsten Morgen damit zu bekämpfen, dass er hoch in die Berge joggte. Und auf die Frage, warum er auf den Warnschuss nicht reagiert habe, antwortete er lapidar: » Ich dachte, es handelt sich schon wieder um eine Übung. Hier schießen oft Soldaten mit Platzpatronen in der Gegend herum.« Nun ja, nicht ganz glaubwürdig, aber kein Delikt.
Unser » Täter« jedenfalls war aus dem Schneider, und wir saßen in der Patsche, hatten nichts mehr in der Hand. Nicht einen einzigen winzigen Hinweis. Frustriert kehrten wir nach München zurück und ernteten zu allem Überfluss Hohn und Spott. » Schuss auf Jogger«, titelte eine Zeitung. Eine andere sprach von einer » peinlichen Panne bei der Geldübergabe«. Wir waren zwar nicht gerade amüsiert über den Fehlschlag, uns jedoch keiner Schuld bewusst und hakten die Geschichte einfach ab.
Das südbayerische SEK kam nie mehr mit dem Bahnerpresser in Berührung, denn in unserem
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