Zugriff
einmal die Ruftaste in seiner Hosentasche drücken, für » Nein« zweimal und für » Weiß nicht« dreimal. Auf diese Weise gewannen wir nach und nach ein recht zuverlässiges Bild, was sich in dem Apartment abspielte.
Insoweit hatten wir alles in allem eigentlich ein recht gutes Gefühl, wäre da nicht die Handgranate gewesen. Die Zeit verging, ohne dass uns eine wirklich risikolose Vorgehensweise einfallen wollte. Wir ersannen Plan über Plan und verwarfen alle sogleich wieder, weil sie zu gefährlich erschienen. Zwischendrin funkte mich auch noch die interne Befehlsstelle an: » Die Frau vom Hans ist am Telefon. Kannst du übernehmen?« O Gott, was sollte ich bloß sagen?
Ich entschied mich gegen die Wahrheit und spielte die Sache herunter. » Mach dir keine Sorgen. Wir haben die Lage im Griff und werden deinen Mann heil herausholen«, versprach ich ihr. Dabei hatten wir nichts im Griff, und ein glimpflicher Ausgang schien mehr als fraglich. Die Verhandlungsgruppe der Polizei, verstärkt durch einen besonders kompetenten Psychologen, arbeitete ebenso akribisch wie vergeblich daran, den Geiselnehmer zum Aufgeben zu überreden. Der dachte nicht daran, forderte stattdessen plötzlich ein Fluchtfahrzeug, und zwar die Limousine des Hoteliers. Glücklicherweise machte der keine Schwierigkeiten, und kurz darauf stand der Wagen etwa 30 Meter vom Ausgang des Apartmentgebäudes entfernt bereit.
Wieder saßen wir zusammen, die Einsatzleitung, die führenden Leute vom SEK und das Observationsteam vom MEK , um die veränderte Lage zu analysieren. Da der Täter offenbar beabsichtigte, mit seiner Geisel zu fliehen, arbeiteten wir drei Varianten für den Zugriff aus. Beim Verlassen des Gebäudes, auf dem Weg zum Fahrzeug oder spätestens vor der Abfahrt. Entsprechend informierte ich meine Präzisionsschützen, die zwischen 50 und 100 Metern entfernt in Stellung lagen. Grundsätzlich keine Entfernung für diese Cracks, wäre da nicht die massive Bedrohung unseres Kollegen durch die Handgranate gewesen.
Das Wichtigste aber stand noch aus. Hans musste genauestens instruiert werden, wie er sich zu verhalten hatte. Auch das war gründlich diskutiert worden, und die unserer Meinung nach einzig mögliche Lösung sollte ich Hans jetzt verkaufen. Ich nahm Funkkontakt zu ihm auf und erläuterte ihm unseren Plan. » Wenn beim Verlassen des Gebäudes ein Schuss fällt, springst du nach links über eine Hecke und bleibst flach liegen. Hast du verstanden?« Die Durchsage wurde mit einem Pfeifton bestätigt. Trotzdem wiederholte ich es mehrfach, damit er es sich einhämmerte: » Nach Schussabgabe über die Hecke auf der linken Seite springen!« Wir konnten nur hoffen und beten, dass es funktionierte, dass Hans trotz der reduzierten Kommunikation wirklich verstand, was wir meinten. Aber welche Wahl blieb uns sonst?
Meine Hoffnungen ruhten auf meinen Präzisionsschützen, zumal der Einsatzleiter jetzt auch den finalen Rettungsschuss freigab, also die Tötung des Täters durch Kopfschuss. Er wollte jedes Risiko ausschließen, dass Reinhart S. womöglich noch Zeit fand, den Zünder zu betätigen. Wenn doch, würde die Handgranate am Boden explodieren. Deshalb musste Hans sich trotz Freigabe des Rettungsschusses vorsorglich durch einen beherzten Sprung in Sicherheit bringen. Natürlich gab es einen Alternativplan, falls alles völlig anders verlief. Dann sollte ein Schütze durchs Autofenster zielen. In früheren Jahren hatte man das gescheut, weil Glas ein Geschoss ablenken kann, aber inzwischen war das durch gezieltes Training für unsere Präzisionsschützen kein allzu großes Problem mehr.
Die Geiselnahme dauerte inzwischen über acht Stunden. » Wie mag sich Hans fühlen, es muss für ihn schrecklich sein. Mich treibt die Angst um ihn in den Wahnsinn«, sagte ich zu meinen Leuten, die nur schweigend nickten. Dann warteten wir wieder, dass es endlich weiterging. Schließlich eine Funkdurchsage der Verhandlungsgruppe: » Der Täter wird mit seiner Geisel in fünf Minuten das Gebäude verlassen.«
Mein Puls beschleunigte sich. Ich war wie elektrisiert, brannte darauf, endlich etwas tun zu können, um den Hans heil da herauszubringen. Trotzdem preschte niemand von uns in einer solchen Situation unbedacht vor. Ruhe bewahren und einen klaren Kopf behalten, das war entscheidend für den Erfolg bei allen Einsätzen. Wer das nicht schaffte, hatte beim SEK nichts verloren. Auch Hans würde das jetzt einmal mehr unter Beweis stellen müssen.
Weitere Kostenlose Bücher