Zuhause ist ueberall
Emigration in Wien und dort, als gelernter Zoologe, im Naturhistorischen Museum zuständig für die Insektensammlung. Gottseidank kenne ich mich mit Käfern aus, sagte er damals. Eduard Goldstücker, während des Prager Frühlings der mutige Präsident des Schriftstellerverbands, verbrachte das Exil an einer britischen Universität. Auch er kommt nach Prag zurück, wo er seinen 80. Geburtstag begeht. Das deutsche Goethe-Institut feiert ihn. Seine Landsleute nicht. Die Zeit ist über die Reformer hinweggegangen. Links ist out. Liberal ist in.
Wer einst Kommunist war und wer nicht, war nicht zuletzt eine Frage des Jahrgangs. Diejenigen, die in der Zeit der deutschen Okkupation und unmittelbar danach erwachsen wurden, sympathisierten mit der Partei, die im Widerstand große Opfer gebracht hatte und eine Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit versprach. Für die etwas Jüngeren waren die kommunistische Machtergreifung und die darauffolgende Offensive gegen alle Andersdenkenden das bestimmende Erlebnis. Sie verfielen der kommunistischen Verlockung nicht mehr. Bezeichnend dafür ist die Entwicklung zweier Männer, die seit Jugendjahren gute Freunde waren: der Filmregisseur Miloš Forman, später in Hollywood erfolgreich, und Václav Havel. Beide waren an der gleichen Schule, Forman war drei Jahre älter. Forman wurde Kommunist, Havel nicht.
Noch weniger als mit dem Prager Frühling beschäftigt man sich während meiner Prager Zeit freilich mit einem schmerzlichen Kapitel aus der Vergangenheit: der Vertreibung der Deutschen nach 1945. Sie ist kein Thema. Und viele Tschechen wissen gar nicht, was damals geschehen ist, schon gar nicht, in welchem Ausmaß. Ich fühle mich an Österreich in der Nach-Nazizeit erinnert. Eva, eine gescheite und gebildete Frau, sagt mir: Ich wusste gar nicht, dass das tatsächlich drei Millionen Leute waren, die wir vertrieben haben. Jetzt, weil ich dich kenne, habe ich ein Buch darüber gelesen. Ich dachte immer, das waren nur ein paar Nazis, die sowieso heim ins Reich wollten.
Wir drehen einige Magazinbeiträge über das sogenannte Grenzgebiet, das früher Sudetenland hieß. Tschechen aus dem Landesinneren fahren selten dorthin. Eine ziemlich verwahrloste Gegend. Manche Dörfer gibt es gar nicht mehr, sie sind nach der Vertreibung der Bewohner verfallen und abgerissen worden. Andere werden vorwiegend von Roma bewohnt. Das Kamerateam staunt. Vlasta, der Kameramann, und Olda, der Tonassistent, sind beide gescheit und sympathisch und hoch professionell. Aber über das Verschwinden der Deutschen haben sie noch nie wirklich nachgedacht. Eine Schande, wie es hier aussieht, sagt Vlasta kopfschüttelnd. Und Olda sekundiert: Dass die Kommunisten das derart haben verkommen lassen! Ich sage, das liege wohl nicht in erster Linie an den Kommunisten, sondern daran, dass die ursprünglichen Bewohner nicht mehr da sind. Verwunderte und nachdenkliche Blicke.
Wir fahren nach Lanškroun, früher Landskron, im früher so genannten Schönhengstgau. Ein wunderschönes, einstmals fast rein deutsches Städtchen mit einem mittelalterlichen Marktplatz, umsäumt von alten Bürgerhäusern. In der Mitte ein großes barockes Fischbecken. Im Bericht des deutschen Vertriebenenministeriums habe ich gelesen, dass hier nach 1945 eines der ärgsten Massaker jener Zeit stattgefunden hat. Selbsternannte Revolutionsgarden zogen in die Stadt ein und veranstalteten auf dem Marktplatz ein »Tribunal«. Die deutschen Männer mussten vor den »Richtern« knien, wurden misshandelt und dann erschossen, andere im Fischbecken ertränkt. Ich möchte wissen, wie man sich heute an dieses Ereignis erinnert.
Wir treffen auf allgemeine Ratlosigkeit. Wir fragen in der Schule, was die Kinder noch von den Deutschen wissen, die früher hier gelebt haben. In unserem Haus haben auch Deutsche gewohnt, sagt eine Vierzehnjährige. Aber die sind weggezogen. Weggezogen ist gut. Die Lehrerin zuckt die Achseln. Nein, im Geschichtsunterricht sei darüber nicht gesprochen worden. Wie auch? Es gebe keine Lehrbücher, die dieses Thema behandeln. Besuch im Heimatmuseum. Man sieht allerlei Gerätschaften, Möbel, Ladenschilder mit deutschen Namen, Fotos von Schützenfesten, Fronleichnamsprozessionen, Kegelvereinsabenden. Lauter Deutsche sind abgebildet. Was wohl aus ihnen geworden sind? Nirgendwo ein Hinweis.
Als wir auf dem alten Friedhof drehen, packt mich erstmals der Zorn. Das Areal ist leer, man sieht nichts als Wiese. In der Ecke ein paar Reihen neuer
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