Zuhause ist ueberall
Männer, sagen sie, haben sich in der Kommunistenzeit so viel ducken müssen, so viele Demütigungen eingesteckt und so viel an Würde verloren, dass sie jetzt nicht auch noch ihre Frauen gegen sich haben sollen. Sie brauchen eher Ermutigung als das Gegenteil. Die Frauen haben die Diktatur seelisch wesentlich besser verkraftet.
Wie wahr das ist, erfahre ich von unserer Mitarbeiterin Eva. Eva hat in einem chemischen Institut gearbeitet. Der Leiter war ein guter Mann, ein angesehener Professor, der partout nicht der Staatspartei beitreten wollte. Wir haben ihn bekniet, das doch zu tun, erzählt Eva. Er solle doch das blöde Parteibuch nehmen. Wenn er es nicht täte, käme an seiner statt ein unfähiger Parteigünstling, und dann gehe das Institut den Bach hinunter. Sie selber und ihre Kolleginnen hätten das Problem pragmatisch gelöst. Dein Kind macht heuer Matura und will studieren? Da braucht es einen akzeptablen familiären Hintergrund, also geh in irgendeine Parteiorganisation. Meine Kinder sind noch im Kindergarten, da macht es nicht so viel aus. Ideologie? Uns doch egal.
Nicht nur Jiřina hat in jenen Jahren viel Besuch aus Amerika. In den USA ist Prag nach der Wende die angesagteste Stadt in Europa, ungefähr das, was in den Zwanzigerjahren Paris war. Das Time Magazine bringt eine Titelgeschichte darüber. Havel, der Philosophenkönig, wird in Amerika verehrt. Er war kurz nach dem Umsturz in Washington und hatte dort einen vielbeachteten Vortrag an der Georgetown University gehalten. Wie können wir euch helfen?, fragten manche Studenten nachher. Kommt zu uns und bringt uns Englisch bei, sagte Havel. Das brauchen wir jetzt am dringendsten. Viele junge Amerikaner nehmen sich das zu Herzen und fallen in Scharen in der Stadt ein. Auch meine Nichte Sophia, die in Georgetown studiert hat, ist dabei. Sie unterrichtet eine Weile Englisch, landet dann aber bei einer englischsprachigen Prager Stadtzeitung, die jemand blitzschnell gegründet hat. Ich erfahre daraus, welche die In-Lokale sind und welche Art Musik die hippen Jungen jetzt am liebsten hören.
Die jungen Amerikaner haben einen Einfluss auf das Leben in Prag. Sie sind entsetzt über das schwere böhmische Essen und gründen vegetarische Lokale. Sie machen Werbeagenturen und englischsprachige Buchhandlungen auf. Einer erfindet eine Art Prager Bürokratielexikon für Ausländer, in dem nicht nur die zuständigen Beamten aller relevanten Behörden aufgeführt sind, sondern auch ihre Sekretärinnen samt dem Hinweis, ob sie Englisch können oder nicht. Das Buch, das ständig aktualisiert wird, ist ein Riesenerfolg. Das Geld für ihre Unternehmungen, keine allzu großen Summen, haben sich die Neuankömmlinge von ihren Eltern geborgt. Was sie ihren tschechischen Altersgenossen vermitteln, ist nicht zuletzt eine Art von lässigem Unternehmergeist. Man hat eine Idee, probiert aus, ob sie funktioniert. Wenn ja, ist es gut, wenn nicht, ist es auch keine Katastrophe. Und immer wieder trifft man auf einen jungen Amerikaner oder eine junge Amerikanerin, die hier in Prag den großen amerikanischen Roman ihrer Generation schreiben wollen wie einst Hemingway und Co. in Paris.
Das Prag der frühen Neunzigerjahre ist optimistisch gestimmt und blickt nach vorwärts. An die Vergangenheit denkt man nicht so gern. Das ist tragisch vor allem für die Generation der 1968er, der Träger des Prager Frühlings. Sie haben damals die Tür zur Demokratie einen Spaltbreit geöffnet und dafür schwer bezahlt. Manche kommen jetzt aus der Emigration zurück, erwartungsvoll und voller Eifer, an der Erneuerung ihres Landes mitzuwirken. Aber niemand will sie haben. Sie waren zwar Reformkommunisten, aber doch Kommunisten. Für die Jungen jetzt war der bittere Kampf der Eurokommunisten gegen die Stalinisten nichts anderes als ein Familienstreit zwischen Kommunisten. Das interessiert heute niemanden.
Mein Freund Tonda Liehm, der in Paris die Exilzeitschrift Lettres herausgibt, kommt nach Prag und würde gern wieder seine alte Zeitschrift, die Literární Listy , übernehmen, die er einst zu Glanz und Erfolg geführt hat. Seit Jahren hat er sich auf die Rückkehr in die Heimat gefreut. Aber er blitzt ab. Die Kaderabteilung hat mich nicht approbiert, sagt er mit bitterem Humor und reist wieder nach Paris zurück.
Zdeněk Mlynář, einst Sekretär der Reform-KP und mit Dubček und den anderen nach Moskau verschleppt, schafft es ebenfalls nicht, wieder in Prag Fuß zu fassen. Er war in der
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