Zuhause ist ueberall
Vergnügen für die ganze Familie. In der Oper wie im Theater wie in der Literatur und auch bei den Liedern, die gesungen werden, gibt es offensichtlich einen beschränkten Kanon von zugelassenen Werken. Diese aber sind im ganzen Land Allgemeingut. Auch ›Du Juan Shan‹ gehört dazu.
Als der Vorhang aufgeht, sieht man zunächst eine romantische Waldschlucht. Der Held Lei Gang, ein Bauer, ist seinem Gutsbesitzer entflohen und sinnt mit seinen Schicksalsgenossen auf Revolte. Sie wollen sich gegen die Unterdrückung zur Wehr setzen, wissen aber nicht recht, wie sie das anstellen sollen. Prompt erscheint die Vertreterin der illegalen Kommunistischen Partei, eine schöne, etwas burschikose Person, dem Typ nach eine Mischung aus Jeanne d’Arc, Emma Peel und Oberlehrerin. Sie führt die Bauernrevolutionäre in den Kampf. Im Folgenden zeigt das Stück, wie die Partei die tapferen, aber oft verwirrten und unter falsche Einflüsse geratenen Bauern leitet und orientiert, sie erzieht und ihnen siegen hilft. Am Schluss vereinigen sich Bauern, Arbeiter und Soldaten zu einer großen Armee unter Führung der Partei. Im Finale schwenken unter einer wehenden roten Fahne alle das Mao-Buch und singen das Lied vom Großen Steuermann.
Im Stil erinnert das Ganze an ein populäres Ritterstück, spannend wie ein Western und mindestens ebenso blutrünstig. Die Feinde werden erschossen, erschlagen, aufgespießt und von Klippen gestürzt. Die Bösen sind durch bleiche Schminke und tückisches Aussehen von vornherein als solche kenntlich – der Verräter ist ein schmächtiger Intellektuellentyp, während die Guten robuste und rotbackige Proletariergestalten sind.
Am lebendigsten sind die Kampfszenen. Alle Schauspieler sind perfekte Tänzer und Akrobaten, sie schlagen Purzelbäume, liefern einander choreographisch großartige Duelle mit Schwert, Dreschflegel und Pistole, wirbeln meterweit durch die Luft, springen mit Salto einen Meter rückwärts auf einen hohen Felsen. Das Publikum geht sichtlich begeistert mit, obwohl die meisten das Stück schon kennen. Beim Hinausgehen pfeifen manche die Hauptmelodie.
Auch wir applaudieren, aber einem unserer Mitreisenden, einem mittelständischen Unternehmer aus Vorarlberg, reicht allmählich die antikapitalistische Agitation. Wie komme er dazu, beschwert er sich, ständig als Ausbeuter und Arbeiterfeind bezeichnet zu werden? Er arbeite schließlich auch hart und behandle seine Leute anständig. Wir sehen in Maos Werken nach und finden dort die Unterscheidung zwischen ›Kleinbauer‹ (gut), ›Großbauer‹ (schlecht) und ›Mittelbauer‹ – einer, der andere für sich arbeiten lässt, aber auch selber zupackt – (akzeptabel). Fortan stellt sich Herr Zumtobel überall als ›Mittelbauer‹ vor.
Vom Pekinger Hauptbahnhof – einem Riesenbau im altchinesischen Stil – geht es per Schlafwagen weiter nach Nanking. Die Wagen sind geräumig und bequem, mit ihren weißen Spitzendeckchen und den Lämpchen mit rosa Seidenschirm umgibt sie ein Hauch von Jahrhundertwende. Zur klassenlosen Eisenbahn hat sich auch das neue China noch nicht aufgeschwungen.
Service und Kundendienst – wenigstens im Abteil für uns ausländische Touristen – sind Spitzenklasse. Im Speisewagen bekommen wir ein kulinarisches Wunderwerk von Abendessen serviert, dazu für jeden ein kleines Fläschchen Rotwein.
Als meine österreichischen Reisegefährten noch mehr Wein bestellen wollen, gibt es zunächst ratlose Gesichter, denn in China trinkt man relativ wenig und mäßig Alkohol. Dann aber hat der Ober eine Idee. Er ruft vom Zug aus den nächsten Bahnhof an. Dort hat man zwar auch keinen Wein lagernd, aber jemand holt mit dem Fahrrad rasch welchen aus der Stadt. Außer Fahrplan hält der Expresszug wenige Minuten später in dem kleinen Provinzbahnhof, zwanzig Bouteillen werden aufgeladen, und die Gäste, denen das Ganze mittlerweile schon ein bisschen peinlich ist, kommen zu ihrem Abendschluck. Offensichtlich ist die Losung ausgegeben worden, den ›geschätzten Freunden aus dem Ausland‹ jeden Wunsch zu erfüllen.
Die ganze Zeit haben wir von den glorreichen Errungenschaften der Kulturrevolution gehört, die das Land in seinen Grundfesten erschüttert hat. Aber wie war diese wirklich? Auf der langen Eisenbahnfahrt nach Schanghai, als die anderen schlafen, bringe ich endlich unsere Dolmetscherin Tsung Sung Tschien, eine sympathische und kluge junge Frau, dazu, mir zu erzählen, wie sie die Umwälzung in ihrer eigenen
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