Zum ersten Mal verliebt
mitzumachen? Willst du wirklich, dass er so egoistisch und gefühllos ist?« »Nein. Nein! Aber - aber er ist unser Erstgeborener. Er ist doch noch so jung, Gilbert! Ich will versuchen tapfer zu sein, nur jetzt kann ich es noch nicht. Es kommt alles so plötzlich. Gib mir Zeit!«
Gilbert und Anne gingen hinaus. Jem und Walter waren schon vorher hinausgegangen, Shirley stand auch auf. Nur Rilla und Susan blieben zurück und starrten sich gegenseitig über den verlassenen Tisch hinweg an. Rilla hatte bisher nicht geweint, sie war wie betäubt. Dann sah sie, dass Susan weinte. Ausgerechnet Susan, bei der sie noch nie eine Träne gesehen hatte! »Ach, Susan, meinst du, er geht wirklich?«, fragte sie.
»Das, das ist einfach, einfach lächerlich, lächerlich ist das!«, sagte Susan. Sie wischte die Tränen fort, schluckte entschlossen und stand auf.
»Ich gehe jetzt abwaschen. Das muss schließlich sein, auch wenn alle verrückt geworden sind. Na, komm, Liebes, nun wein doch nicht, jem wird gehen. Wahrscheinlich. Aber bevor es für ihn gefährlich wird, ist der Krieg bestimmt schon zu Ende. Wir sollten uns zusammenreißen und deine arme Mutter nicht unnötig quälen.«
»In der Enterprise steht heute, dass Lord Kitchener gesagt hat, der Krieg dauert drei Jahre«, sagte Rilla voller Zweifel.
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»Ich kenne keinen Lord Kitchener«, sagte Susan gelassen. »Aber der kann sich genauso täuschen wie andere Leute auch. Dein Vater sagt, der Krieg ist in ein paar Monaten aus, und seine Meinung zählt für mich mehr als die von einem Lord Irgendwer. Also, lass uns Ruhe bewahren und dem Allmächtigen vertrauen. Jetzt räumen wir erst mal ab. Heulen ist bloß Zeitverschwendung und entmutigt alle anderen.«
Jem und Jerry fuhren am Abend nach Charlottetown und zwei Tage später kehrten sie in Uniform zurück. Ganz Gien war in Aufruhr. Und in Ingleside war es auch mit der Ruhe vorbei. Anne und Nan zeigten sich tapfer und hilfsbereit. Anne und Miss Cornelia waren sogar schon dabei, ein Rotes Kreuz ins Leben zu rufen. Gilbert und Mr Meredith riefen Männer für eine patriotische Vereinigung auf. Nach ihrem ersten Schock versuchte Rilla trotz ihres Kummers das Ganze von der abenteuerlichen Seite zu sehen. Jem sah doch ganz prächtig aus in seiner Uniform. Und war es nicht großartig, wie spontan und unerschrocken die jungen Männer von Kanada dem Ruf ihres Landes folgten? Rilla marschierte erhobenen Hauptes vorbei an den Mädchen, deren Brüder sich nicht dazu entschlossen hatten. Wenn sie ein Junge gewesen wäre, dann wäre sie natürlich auch in den Krieg gezogen! Da bestand für sie nicht der geringste Zweifel.
Was Walter betraf, war sie jedoch froh, dass er seit seinem Fieber nicht so schnell wieder zu Kräften gekommen war.
»Ich könnte es nicht ertragen, wenn Walter auch gehen würde«, schrieb Rilla in ihr Tagebuch. »Ich liebe Jem sehr, aber Walter bedeutet mir mehr als irgendjemand auf der Welt. Ich würde es nicht überleben, wenn er gehen müsste. Dabei ist er in letzter Zeit so anders. Er spricht kaum mit mir. Wahrscheinlich will er auch gehen und ist geknickt, weil er’s nicht kann. Er gehtjem und Jerry ganz aus dem Weg. Nie werde ich Susans Blick vergessen, als Jem in seiner Soldatenuniform nach Hause kam. Sie verzog das Gesicht so, als ob sie jeden Moment anfangen wollte zu weinen, aber alles, was sie dann sagte, war: >In dem Aufzug siehst du fast aus wie ein Mann, Jem.< Jem musste lachen. Ihm macht es überhaupt nichts aus, dass Susan ihn immer noch für ein Kind hält. Alle sind sehr beschäftigt, nur ich nicht. Wenn ich wenigstens auch etwas tun könnte, aber ich weiß nicht, was. Mutter und Nan und Di sind ständig auf den Beinen und ich wandere ziellos umher wie ein einsamer Geist. Was mir am meisten weh tut, ist Mutters Lächeln, und auch Nans. Es sieht so unecht aus. Mutters Augen lachen nicht mit. Ich meine dann, dass ich auch nicht lachen darf. Dass es böse von mir ist, wenn mir nach Lachen zu Mute ist. Dabei fällt es mir so schwer, aufs Lachen zu verzichten, auch wenn Jem in den Krieg zieht. Aber wenn ich dann lache, dann macht es mir keinen Spaß, ganz anders als früher. Ich bin irgendwie ständig bedrückt, besonders, wenn ich nachts aufwache. Dann muss ich weinen, weil ich Angst habe, Kitchener aus Khartum könnte womöglich doch Recht haben damit, dass der Krieg Jahre dauert und Jem möglicherweise -nein, das schreibe ich lieber nicht. Sonst glaube ich noch, dass es wirklich passiert.
Neulich hat
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