Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
nicht einmal aufgesehen, bevor Sie mich ansprachen. Wie …«
»Militärisches Training, Mrs. Malone. Ich hatte immer schon ein ausgezeichnetes Gehör. Hoch sensibilisiert wie Radarsysteme. Damit war ich der Albtraum meiner jungen Offiziere. Sie konnten mich nie heimlich kritisieren, weil ich immer alles mitbekam.« Wieder schmunzelte er.
»Und woher kennen Sie meinen Namen?« Einmal
abgesehen von der Tatsache, dass er sie in flagranti beim Spionieren erwischt hatte, fand sie den alten Herrn zunehmend sympathisch. Einfach grandios, dass sie endlich einen der berühmtesten Kriegshelden ihres Landes persönlich kennen lernen durfte. Er war zwar physisch geschwächt, geistig jedoch überaus vital. Seine Augen blickten wässrig trübe, dennoch registrierte er zweifellos eine ganze Menge mehr, als er sich anmerken ließ. Zudem verfügte er bestimmt über eine hervorragende Menschenkenntnis. Er trug einen frisch gestärkten, tipptopp gebügelten Overall. Sein schütteres, weißes Haar war militärisch kurz geschnitten und streng nach hinten frisiert. »Kennen Sie etwa meine Fernsehsendung?«, schob sie nach.
»Nein, ich bedaure, das sagen zu müssen, aber die habe ich mir leider noch nie angeschaut. Ich wusste von Ihnen, weil Lyon mir davon erzählte, dass er Sie gestern in der Stadt kennen gelernt hat.« Er beobachtete ihre Reaktion.
»Ach ja?«, gab sie kühl zurück, ihre Miene bewusst unbestimmt. »Hat er Ihnen auch erzählt, wie respektlos er mir gegenüber war?«
Dem alten Mann entfuhr ein lautes, bellendes Lachen, das in einen Hustenanfall mündete. Alarmiert sprang sie auf und beugte sich über ihn. Kam sich ziemlich hilflos vor, da sie keine Ahnung hatte, was sie tun sollte. O Schreck, wenn ihm ausgerechnet jetzt etwas passierte, wo sie allein mit ihm war!
Lyon würde sie lynchen! Der erstickende Krampf ebbte schließlich ab, und er bedeutete ihr mit einem schwachen Winken, sich wieder in den Sessel zu setzen. »Nein, das hat Lyon nicht erwähnt, aber es würde zu ihm passen. Ich kenne schließlich meinen Sohn.«
Er wischte sich die tränenden Augen mit einem weißen Batisttaschentuch. Räusperte sich und grinste dann verschmitzt. »Er erwähnte nur, dass wieder so eine Schmarotzerin von der Presse in der Stadt herumschnüffeln und blöde Fragen stellen würde. Er nannte Sie – was war es noch gleich – eine sensationsgeile Medienschlampe. Ja, ich glaube, das waren seine genauen Worte. Und dass Sie sich nicht zu schade sind, Ihr Aussehen auszuspielen, um an eine Story zu kommen. Daraufhin beschrieb er Sie mir recht ausführlich.«
Eine heiße Röte schoss in ihre Wangen, wütend biss sie die Kiefer aufeinander. Schmarotzerin. Medienschlampe. Dieser Schuft glaubte wohl, dass sie über Leichen ging.
Sie schluckte ihren Ärger jedoch hinunter, zumal der General sie aufmerksam beobachtete, als wollte er ihre Reaktion auf Lyons Affront testen. »General Ratliff, ich möchte, dass Sie eins wissen. Ihr Sohn hat ein völlig falsches Bild von mir. Natürlich habe ich mich über Sie und Ihr Leben hier auf der Ranch umgehört, aber doch nur, weil ich …«
»Sie müssen sich nicht rechtfertigen, Mrs. Malone.
Ich wollte damit lediglich andeuten, welchen Eindruck Sie auf Lyon machen. Damit ich mir ein eigenes Urteil bilden kann, fasse ich die Fakten kurz zusammen: Sie arbeiten für einen Kabelsender und möchten mich für Ihre Sendung interviewen. Sehe ich das richtig?«
»Ja, Sir. Uns schweben Interviews von halbstündiger Länge vor, die im abendlichen Serienprogramm ausgestrahlt werden.«
»Wieso?«
»Wieso?«, wiederholte sie verständnislos.
»Wieso wollen Sie ausgerechnet mich interviewen?«
Sie starrte ihn mit großen Augen an, schüttelte kaum merklich den Kopf und erwiderte: »General Ratliff, das müssten Sie doch selbst am besten wissen. Immerhin haben Sie amerikanische Geschichte geschrieben. Ihr Name wird in jedem Titel über den Zweiten Weltkrieg erwähnt. Sie leben seit Jahren zurückgezogen auf dieser Ranch. Und die amerikanische Öffentlichkeit interessiert sich berechtigterweise für Sie. Man möchte wissen, was Sie hier so machen.«
»Das kann ich Ihnen mit einem Wort beantworten: nichts. Ich sitze hier herum, werde älter, gebrechlicher und warte auf den Tod.« Als sie protestieren wollte, hob er beschwörend die Hände. »Also, Mrs. Malone, wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen wir ehrlich miteinander umgehen. Ich werde bald
sterben. Mir war ein langes Leben vergönnt, aber jetzt
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