Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
abreiste, wo er das Schlimmste von ihr annahm. Andernfalls wäre es ihr noch erheblich schwerer gefallen, ihn zu verlassen.
Sie entschied sich für eine toffeebraune Siebenachtelhose und eine vanillegelbe Bluse mit feminin weitem Kragen und gebauschten Ärmeln. Band ihr Haar am Hinterkopf zu einem weichen Nackenzopf zusammen, was den Romantiklook noch unterstrich.
Die anderen erwarteten sie schon im Patio. General Ratliff saß in seinem Rollstuhl neben dem Schatten spendenden Pavillon. Sie riss den Blick von dem hübschen kleinen Haus. Zu viele aufwühlende Erinnerungen
waren damit verknüpft. Und Andy wusste sehr genau, dass Les sie nicht aus den Augen lassen würde. Jetzt musste sie Professionalität beweisen. Sie war den Tränen nahe. Musste ihre letzte Selbstkontrolle aufbringen, um Lyon nicht verzweifelt um den Hals zu fallen. Der junge Rancher stand etwas abseits und beobachtete sie schweigend mit versteinerter Miene.
»Wie wär’s, wenn ich auf dem B-Band aufzeichne, wie ihr über den Pfad zum Fluss schlendert. Die Landschaftsaufnahmen machen sich bestimmt toll«, schlug Jeff vor.
»Klasse Idee«, gab Andy mit gespielter Begeisterung zurück. »Wie sollen wir uns dabei verhalten? Schwebt dir etwas Bestimmtes vor?«
»Nöö, schlendere doch einfach neben General Ratliffs Rollstuhl her, und plaudert angeregt miteinander. Alles andere erledige ich schon.«
»In Ordnung.«
Der General hatte Jeffs Regieanweisungen aufgeschnappt und steuerte den Rollstuhl pflichtschuldig auf den geteerten Weg. Andy lief zu ihm. Worüber sie jetzt plauderten, würde nicht mit aufgezeichnet, so viel stand fest. Trotzdem überlegte sie krampfhaft, wie sie das Gespräch beginnen sollte, doch der alte Herr überraschte sie, indem er den Auftakt machte.
»Andy, Sie sehen gar nicht gut aus.«
»Zum Glück läuft der Ton nicht mit«, strahlte sie ihn an. Hoffentlich fiel es später niemandem auf,
dachte sie dabei im Stillen, wie unsicher und aufgesetzt ihr Lächeln wirkte.
»Ich meine damit nicht Ihre optische Ausstrahlung«, fuhr Michael Ratliff unbeirrt fort. »Sie wissen, dass ich Sie für eine wunderschöne Frau halte. Aber Sie sind unglücklich, das sehe ich Ihnen an. Lyon erzählte mir, dass Sie heute Nachmittag abreisen.«
Aus dem Augenwinkel heraus gewahrte sie, wie Jeff sich durch die Bäume schlug, derweil er ihren Spaziergang aufnahm. Als alter Profi schaute sie nicht in die Kamera, die er sich mitsamt dem Rekorder auf die Schulter gepackt hatte. Der kleine Abstecher durch den Wald sollte spontan und ungeplant wirken. Ihre Unterhaltung mit dem General war es jedenfalls, sann sie frustriert.
»Hat er Ihnen auch erzählt, dass er es war, der uns förmlich dazu drängte, die Interviews abzuschließen und die Zelte abzubrechen?«
»Hmmm, so wie ich meinen Sohn einschätze, kann er diesen Mr. Trapper nicht sonderlich leiden.«
»Ich würde sagen, das ist noch maßlos untertrieben. Er mag keinen von uns.«
»Doch, er mag Sie.« Andy stolperte und fing sich gerade noch rechtzeitig, bevor sie der Länge nach hinschlug. Ungeachtet ihrer verblüfften Reaktion und der filmenden Kamera fuhr der General unbeirrt fort: »Lyon verhält sich in letzter Zeit richtig merkwürdig. Wir bekommen ihn kaum noch zu Gesicht.
Morgens steht er mit den Hühnern auf und lässt sich für gewöhnlich erst beim Abendessen blicken. Oft auch dann nicht. Aber seit Ihrer Ankunft scharwenzelt er um das Haus herum wie ein Hund, der einen Knochen wittert.«
»Das macht er nur Ihretwegen. Damit er ein Auge auf Sie haben kann. Mich hat er ausdrücklich gewarnt, ich solle Ihnen nur ja nicht zu sehr zusetzen oder in Ihrer Privatsphäre herumstöbern.«
»Sehen Sie, das ist es ja gerade. Lyon kümmert sich viel zu viel um mein Leben und nicht genug um seines. Meiner Einschätzung nach ist seine Lebenssituation wesentlich trostloser als meine.«
Inzwischen hatten sie die Lichtung erreicht, wo Tony und Warren mit Gil zusammenstanden, der wie eine Glucke über die batteriebetriebenen Mikrofone wachte. Für Andy wurde ein Hocker neben den Rollstuhl gestellt. Sobald die Mikros korrekt ausgesteuert waren und das Flussrauschen ausgefiltert war, machte Jeff sich daran, das letzte Interview auf einem Videoband aufzunehmen.
Auf einen Baumstumpf gekauert, döste Tony ein, zumal er sich vorübergehend nicht um die Beleuchtung kümmern musste. Warren kritzelte hastig Andys Fragen auf eine Tafel. Diese würden später noch gebraucht, für die nachträglichen
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