Zum Glück verführt: Roman (German Edition)
anpeilten.
»Das hat Ms. Malone ihn schon gefragt«, gab Lyon beiläufig zurück. »Und die Antwort meines Vaters lautete, dass er lange genug beim Militär gewesen sei und eine andere Lebensweise angestrebt habe. Er wollte weniger Stress und mehr Zeit für meine Mutter haben.«
»Damals war er aber doch noch verhältnismäßig jung«, argumentierte Les.
Die Gespräche am Tisch verstummten. Alle lauschten der Diskussion, in der eine ganze Reihe unausgesprochener Mutmaßungen mitschwangen. Die Crew wusste, dass Les seine Gesprächspartner auf einer Frage festnageln und bis zur Weißglut reizen konnte. Dieses Mal schien er sich allerdings einen harten Brocken vorgeknöpft zu haben. Nach ihrer Einschätzung war Lyon Ratliff bestimmt nicht der Typ, der sich gerne provozieren ließ.
»Kann gut sein, dass er es gerade deswegen gemacht hat. Er wollte sich endlich viel Zeit für die Arbeit auf der Ranch gönnen.« Seelenruhig schob Lyon sich einen weiteren Bissen in den Mund, als wäre Les’ Frage absolut bedeutungslos für ihn.
»Möglich«, meinte Les. Aus seiner Stimme klang
hörbar Skepsis. Andy gewahrte, wie Lyons Hand sich um das Wasserglas krampfte. »Es könnte aber auch eine völlig andere Erwägung gewesen sein. Vielleicht war da irgendetwas, von dem er nicht wollte, dass es an die Öffentlichkeit drang. Ein Problem mit Ihrer Mutter beispielsweise oder irgendein Vorfall im Krieg …«
Impulsiv schob Lyon den Stuhl zurück, sprang unvermittelt auf, worauf das Möbel mit einem lauten Krachen auf die Bodenfliesen kippte. Das gute Silberbesteck, Kristallgläser und Porzellan klirrten bedrohlich, als er dabei mit dem Knie unter den Tisch stieß. Andy vernahm Jeffs leise gemurmeltes »Heiliger Strohsack«. Gracie kam aus der Küche geschossen.
Lyon hatte wirklich gigantisches Temperament, das musste man ihm lassen. Er glich einem zürnenden Rachegott, der auf Vergeltung aus war, verströmte eine geradezu Furcht einflößende Aura. Seine Augen sprühten Blitze. »Ich erwarte, dass Sie dieses Anwesen bis heute Abend verlassen haben. Haben wir uns verstanden? Verschwinden Sie endlich.« Seine Augen schwenkten zu Andy herüber. »Das gilt für alle. Plant das letzte Interview für heute Nachmittag ein, wenn mein Vater ausgeruht ist von seinem Mittagsschlaf. Und dann packt ihr euren Kram zusammen.« Er trat zu dem umgestürzten Stuhl und hob ihn auf. »Entschuldige, Gracie, war keine Absicht.« Damit stürmte er aus dem Raum.
Alle schwiegen, selbst noch nachdem Gracie sich taktvoll in die Küche zurückgezogen hatte.
Jeff räusperte sich unbehaglich. Sein sonst ausgeprägtes Selbstbewusstsein schien merklich angeschlagen. »Ich wollte heute Abend die Batterien für die Kamera aufladen, Andy. Ich weiß nicht, ob auf den Dingern noch so viel Saft ist, um ein Interview …«
»Versuch es halt«, meinte sie lapidar.
»Logo. Klar, dass ich euch nicht hängen lasse.« Er stand auf, die anderen folgten seinem Beispiel. »Wir gehen schon mal vor und richten die Technik ein. Unten am Fluss. An der Stelle, die du uns gezeigt hast.« Die Techniker brachen auf.
Andy faltete umständlich ihre Serviette. Als wäre es essenziell wichtig, sie perfekt gefaltet auf dem kaum angerührten Teller zurückzulassen. Dann stand sie auf.
»Andy …«
»Halt die Klappe, Les. Du hast echt genug Mist verzapft.«
Für die Außenszenen schwebte ihr ein bequemeres, lässigeres Outfit vor als bei den vorangegangenen Gesprächen. Andy hatte auch den General gebeten, sich nicht formell in Sakko und Krawatte zu werfen wie sonst. Wenn sie ehrlich mit sich selber war – und das war sie in letzter Zeit leider viel zu selten –, hatte sie sich auf dieses Interview am meisten gefreut.
Die Flussaue bot eine traumhafte Kulisse für die Aufnahmen.
Außerdem war es das Schlussinterview, was dem Ganzen einen Hauch von Abschiedsmelancholie verlieh. Eigentlich hatte sie sich nie groß Gedanken über ihren Abreisetermin gemacht. Ihr war natürlich bewusst, dass die Interviews irgendwann abgeschlossen wären, sie hatte den Zeitpunkt aber stets offen gelassen.
»Gib’s zu, Andy«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. »Du hast heimlich gehofft, du könntest dich auch weiterhin mit Lyon treffen, stimmt’s?«
Jetzt dämmerte ihr, dass es reines Wunschdenken gewesen war. Er hatte sein Leben. Sie ihres. Und beide verliefen nicht parallel, sondern kontinuierlich in verschiedene Richtungen. Vielleicht war es wirklich das Beste, wenn sie in dieser Situation
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