Zum Nachtisch wilde Früchte
mit Strafe bedrohte Handlung begeht.‹ Das ist ganz klar ausgedrückt, mein Lieber!« Dr. Breuninghaus schlug das Buch zu und sah Boltenstern forschend an. »Habt ihr alten Knaben nun LSD geschluckt? Ja oder nein?«
»Ist das ein Verhör?«
»Nein, eine Frage unter Kameraden.«
»Ja!«
»Was ja?«
»Wir haben LSD geschluckt!«
»Du grüne Neune!« Dr. Breuninghaus ließ seine Zigarre in den großen Aschenbecher fallen. »Weiß das der Major?«
»Ja und nein. Er ahnt es.«
»Woher hast du denn das Zeug?«
»Aus Paris mitgebracht. Unter den Seine-Brücken wurde es verkauft.«
»Aber du wußtest nicht, wie es wirkt?«
Plötzlich sagte Breuninghaus wieder du. Das Gefühl der Kameradschaft kam in ihm hoch. Damals in Sibirien lag er auf der Schnauze, ein Skelett mit aufgetriebenen Gelenken. Dystrophie. Da hatten ihn die anderen, die arbeiten konnten, miternährt. Sein Leben verdankte er ihnen. Wer kann das je vergessen? Nun waren die anderen in Gefahr, und er konnte helfen; ein Hundsfott, wer da noch zögert!
»Nein«, antwortete Boltenstern leise. »Ich wußte nur, daß es schöne Träume schenken sollte. Was an diesem 21. Mai geschah, war entsetzlich! Richard erwürgt sich im Rausch … Kannst du verstehen, daß wir alles versucht haben, das nicht publik werden zu lassen? Der gesellschaftliche Skandal, schon das Bekanntwerden, daß wir uns mit kleinen Miezen amüsierten, und dann noch mit LSD, als seien wir solche ›Säureköpfe‹, wie sich die süchtigen Gammler nennen … das durfte nie bekannt werden!« Boltenstern atmete auf, so laut, daß Dr. Breuninghaus Mitleid mit ihm hatte. »So, nun ist es heraus. Jetzt ist mir leichter.«
»Und mir auch.« Dr. Breuninghaus machte sich einige Notizen. »Ich werde mit dem Generalstaatsanwalt morgen von Mann zu Mann sprechen. Ich bin fast sicher, daß der ganze Zirkus wegen Geringfügigkeit wieder niedergeschlagen wird, und diesmal endgültig! Wenn du willst, kann ich dir ein Gespräch mit dem ›General‹ vermitteln. Gestehe ihm alles. Nach der Rechtslage ist außer Kuppelei nichts drin, und auch Kuppelei ist Blödsinn, denn ihr habt es ja nicht geschäftsmäßig gemacht. Ein paar wilde Früchte naschen … Junge, auch Juristen sind Menschen mit Hormonen …«
Nicht ganz zufrieden verließ Boltenstern nach einer Stunde die Staatsanwaltschaft. Er hatte nichts über die Exhumierung erfahren. Er wußte noch immer nicht, wer hinter dieser ganzen Aktion stand. Er hatte seine Tochter Jutta verhört und Werner Ritter beschuldigt, nur um ihre Reaktion zu sehen. Sie war empört gewesen, hatte geschworen, daß Werner Ritter den Fall nicht mehr bearbeitet und dann war sie wütend nach Emmerich gefahren.
Und doch gab es jemanden, der über alles informiert war und Harry Muck mit Material versorgte.
Hermann Schreibert?
Boltenstern beschloß, diese Frage sofort zu beantworten.
Es wurde unerträglich, weiter in der ›Bergwald-Klinik‹ zu leben. Seit der erschreckenden Wahrheit vergrub sich Schreibert in seinem Zimmer. Dort nahm er die Mahlzeiten ein, dort hauste er zwischen Büchern, von denen er nur die ersten Seiten las, weil ihn die Unruhe hin und her trieb, wie ein Eremit, und dort saß er auch am Fenster, starrte in den Park hinaus und verzehrte sich in Sehnsucht, wenn er am Schwimmbecken die herrliche Gestalt Corinna Colmans sah, von der Sonne umflossen, als habe ihr Körper die Fähigkeit, die Sonnenstrahlen in wirkliches Gold zu materialisieren.
»Ich habe nie gewußt, was Leidenschaft ist«, sagte er einmal zu Dr. Hellerau, der ihn jeden Tag besuchte und mit ihm sprach. »Bisher hielt ich das, was ich mit Frauen erlebte, für Liebe, für erotische Erregung, für Erfüllung von sexuellen Höhepunkten. Mein Gott, es war alles wie Zuckerwasser gegen den Champagner, der Corinnas Anblick in mir auslöst. Ich liebe diese Frau, Doktor, und wenn sie noch so verrückt, kalt, pervers, männertoll und was sonst noch ist! Ich komme nicht mehr von ihr los!«
»Herr Boltenstern hat gestern angerufen«, sagte Dr. Hellerau an diesem Tage. »Er holt Sie ab. Er will Sie in eine Klinik nach Turin bringen. Ich glaube, das ist die beste Lösung aller Probleme.«
»Und Corinna? Werden Sie ihr das sagen?«
»Wenn sie weg sind, natürlich.«
»Und wie wird sie reagieren?«
»Es liegen bisher neun Anmeldungen vor. Wir sind besetzt, aber da Ihr Zimmer frei wird, können wir einen neuen Gast aufnehmen. Er wird 26 Jahre alt sein. Autohändler aus München. Gesichtsverstümmelung
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