Zum Nachtisch wilde Früchte
Werner Ritter erhob sich. Diesmal sah er Jutta nicht an. Er konnte es nicht. Er wußte, was er in ihren Augen lesen würde. »Der Polizeiarzt wird es bestätigen! Es gibt keinen Menschen, der sich einen Schal so fest um den Hals knotet, daß er erwürgt wird. Auch ein Betrunkener nicht. Das ist technisch und physisch einfach nicht möglich …«
»Also ein Mord!« sagte Boltenstern in die Stille hinein. Konrad Ritter wandte sich ab. Er dachte an die Worte, die er vor dem Eintreffen der Polizei mit Boltenstern gewechselt hatte. Schreibert. Hermann Schreibert erwürgt seinen Freund Richard Erlanger. Wegen eines Mannequins! Wohin sind wir gekommen. Mein Gott, uns hat doch Rußland zusammengeschweißt wie einen Stahlbock.
Die Stimme Boltensterns riß ihn aus seinen Gedanken.
»Wenn es ein Mord war«, sagte er gerade, »dann gibt es nur die Auswahl zwischen drei möglichen Mördern … Huilsmann, Schreibert und ich! Es ist eigentlich eine leichte Aufgabe für Sie, Werner. Völlig überblickbar. Ich werde interessiert auf die Schärfe Ihres Geistes warten …«
Das klang bitter, ironisch und grenzenlos überheblich. Das wehte genauso kalt heran wie die Kälte, mit der diese vier Freunde ihre Geschäfte gemacht, einen Namen erworben, Ansehen errungen und Millionen verdient hatten.
Die ironische Kälte des erfolgreichen Emporkömmlings. Die Arroganz der Geldaristokratie.
Werner Ritter erhob sich und steckte den zerrissenen Büstenhalter in seine Hosentasche.
Vor dem Haus hielten neue Wagen. Ein Beamter öffnete die große gläserne Tür.
Der Polizeiarzt.
Der Leichenwagen mit einem Sarg. Ein schöner, schwerer, heller Fichtensarg, auf dem Deckel ein großer Palmwedel in Bronze. Die Griffe schlugen gegen das Holz, als vier Männer ihn in das Zimmer trugen. Wie dumpfer, ferner Trommelklang war es.
Major a.D. Konrad Ritter nahm Haltung an, als der Sarg an ihm vorbeigetragen wurde.
Boltenstern hatte es übernommen, Petra Erlanger die Nachricht zu überbringen. Konrad Ritter, der darum gebeten wurde, hatte sich rundheraus geweigert.
»Alles mache ich für euch!« hatte er gerufen. »Aber so etwas ist mir unmöglich! Im Krieg war das was anderes. Da konnte man sagen: In stolzer Trauer! Aber jetzt! Ich würde stammeln wie ein Schwachsinniger.«
Es war kurz nach 7 Uhr, als Boltenstern bei Erlanger eintraf. Die Hausmädchen hatten die Teppiche aufgerollt und wischten die versiegelten Parkettböden, Putzeimer, Staubsauger, Besen und Schrubber lagen herum. Samstagmorgen. Um 9 Uhr stand die gnädige Frau auf. Dann mußte alles Putzen vorüber sein. Man kann nicht frühstücken zwischen aufgerollten Teppichen und beim Surren der Staubsauger.
Boltenstern ließ sich zum Haustelefon führen. Es dauerte etwas, bis sich Petra Erlanger meldete, mit einer sanften, verschlafenen Stimme.
»Was ist denn?« fragte sie.
»Hier ist Alf. Entschuldige, Petra, wenn ich dich aus dem schönsten Schlaf reiße. Ich weiß, es ist eine gemeine Zeit zum Wecken … aber es ist dringend.«
»Du willst Richard sprechen?« Er hörte, wie Petra sich im Bett aufrecht setzte und anlehnte. Jetzt fährt sie mit der freien linken Hand durch ihr mattblondes Haar und gähnt, dachte Boltenstern. Ob Richard zu Hause ist, kann sie nicht feststellen. Seit fünf Jahren haben sie getrennte Schlafzimmer. Weil Richard auch nachts noch lange im Bett liest und Akten durcharbeitet, haben sie beide damals gesagt.
»Ich weiß nicht, ob Richard ansprechbar ist«, sagte Petra. Etwas wie eine stille Anklage lag in ihrer Stimme. Es war nicht ihre Art, heftig zu werden. »Es muß spät geworden sein, nicht wahr? Daß du schon wieder auf den Beinen bist, Alf. Junggesellen und Witwer vertragen anscheinend mehr als entnervte Ehemänner.« Das klang bitter und doch sanft. Boltenstern nagte an der Unterlippe. Arme Petra, empfand er. Du hättest vor zehn Jahren anders wählen sollen. Nicht Richard … ich habe dich geliebt. Und an dieser Liebe hat sich in diesen zehn Jahren nichts geändert. Wenn du nur nicht so stolz und ich in deinen Augen ein so armer Schlucker wäre. Petra Wollhagen. Erbin der Wollhagen-Werke. Das Leben ist sadistisch … in fünf Minuten wirst du es erkennen.
»Ich möchte nicht Richard, ich möchte dich sprechen«, sagte Boltenstern mit fester Stimme. »Kann ich heraufkommen?«
»Natürlich, wenn dir der Anblick einer ungeschminkten Frau erträglich ist.«
Boltenstern legte auf und stieg die breite Marmortreppe hinauf zu den Schlafzimmern und Salons.
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