Zum Nachtisch wilde Früchte
Schloßähnlich war das alles, pompös, Reichtum aus jeder Fuge schwitzend. Der alte Kommerzienrat Wollhagen hatte diesen Besitz erbaut, in einem sinnlosen Wettlauf mit seinem Freund und Konkurrenten Stinnes. Stinnes blieb Sieger, aber Wollhagen konnte sagen: »Ich habe sogar einen Lokus aus Carrara-Marmor! Weißer Marmor! Behauen. Mit griechischen Allegorien! Das hat der Hugo Stinnes nicht!« Und jeder bewunderte diesen Lokus. Um den WC-Topf hüpften leichtgeschürzte Nymphen. Zwei schlanke, marmorne Frauenhände hielten die Papierrolle. Auf der Außenseite des Bidets jagte ein Faun eine flüchtende Elfe.
Es war zu schön …
Petra Erlanger empfing Boltenstern in einem Morgenmantel aus blaßgelber Seide, besetzt mit weißem Nerz. Die Haare hatte sie kurz durchgekämmt, in weichen Wellen flossen sie um ihr schmales, ebenmäßiges, sanftes Gesicht. Berauschend sah sie aus. Boltenstern drückte ergriffen das Kinn an und bekam leicht rote Ohren.
»Tritt ein, Alf …«, sagte sie mit einem milden Lächeln. »Die Zeit ist vorbei, als Richard eifersüchtig auf jeden war, der von mir auch nur dreißig Quadratzentimeter Haut sah …«
Boltenstern schwieg und betrat an Petra vorbei den Blauen Salon. Mit einem schnalzenden Laut fiel hinter ihm die Tür zu.
Was in der folgenden Stunde zwischen Petra Erlanger und Alf Boltenstern gesprochen wurde, erfuhr niemand. Wie er den Tod des Freundes berichtete, wie er zu trösten versuchte, was er erklärte, wie Petra die Schreckensnachricht aufnahm, welche Fragen sie stellte … keiner weiß es.
Als sich die Tür des Blauen Salons wieder öffnete, hatte Boltenstern ein ernstes, verschlossenes Gesicht. Petra Erlanger folgte ihm. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kostüm, ohne Schmuck, ohne Zierat. Das Blond ihrer Haare wirkte zu diesem tiefen Schwarz wie ein Feuer in einer mondlosen Nacht. Über ihren Augen wehte ein kleiner Schleier … halb das Gesicht verdeckend bis zur Nasenspitze. Sie war vom Weinen gerötet, aber mit zartbraunem Make-up überpudert worden. Vor dem Haus wartete schon der über die Sprechanlage herbeigerufene Chauffeur mit dem Wagen. Die Hausmädchen starrten ihr nach, als sie wie eine aufgezogene Puppe die breite Marmortreppe hinunterging, über die zusammengerollten Teppiche stieg und das Haus verließ. Noch wußte das Personal von nichts. Aber es spürte, daß etwas gründlich Veränderndes in der Luft lag. Eine drückende Schwüle wehte durch das schloßähnliche Haus.
»Wohin?« fragte Petra Erlanger, als sie neben Boltenstern im Wagen saß. Der Chauffeur wartete mit gezogener Mütze noch auf dem Weg. »Wo liegt er, sagst du?«
»Im Gerichtsmedizinischen Institut.« Boltensterns Stimme war kratzig, als habe er stundenlang geschrien. »Es ist ein ekelhafter Ort, Petra …«
»Ich möchte Richard sehen.« Ihre Stimme war sanft wie immer. Ein Ton, mit Samt umkleidet. »Ich muß mit ihm allein sein, bevor sie alle kommen …«
An diesem Morgen lieferte Werner Ritter seinem Kriminalrat den Bericht der nächtlichen Ereignisse ab. Er erzählte knapp den Vorfall in der Villa Stadtwaldstraße 19 und legte die schriftlichen Untersuchungen auf den Tisch. Kriminalrat Dr. Lummer – im Kollegenjargon ›Kotelett‹ genannt – überflog den Bericht und schob die noch dünne Akte über den Tisch zu Ritter zurück.
»Übernehmen Sie den Fall, Ritter«, sagte er. »Nach dem ersten Studium ist nicht viel drin! Wirtschaftswunderknaben, Party, kleine Mädchen, Sekt und Cocktails, hier ein Griffchen, dort ein Griffchen, und noch einen drauf, bis man stockbesoffen ist und nicht mehr weiß, was man tut! Der eine kriegt dann einen Herzinfarkt – er hat sich aufgerieben für sein Werk, heißt es dann im Nachruf –, der andere bringt sich mit einem Schal um. Sie sollen mal lesen, was man über diesen Erlanger schreibt. Vom guten Papi bis zum rüstigen Turnbruder ist alles drin!« Dr. Lummer, das ›Kotelett‹, suchte in seiner Rocktasche nach einem Feuerzeug. Ritter beugte sich vor und gab ihm ein brennendes Streichholz. Dr. Lummer rauchte eine Zigarre an, die Morgenzigarre, von der er behauptete (mit Erfolg), sie sei besser als fünf Abführpillen. Deshalb war Dr. Lummer auch nie von 8.15 bis 8.25 Uhr zu sprechen. Jeden Morgen. Und wenn es zehn Lustmörder vom Himmel hagelte.
»Der Befund des Institutes steht noch aus?« fragte er.
»Der Tote wird zur Stunde untersucht, Herr Kriminalrat.«
»Wenn die Sache klar ist, können Sie die Akten schließen und die Leiche zur
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