Zum Nachtisch wilde Früchte
Obersekundaner, einmal habe ich Ihnen sogar eine Mathematikaufgabe gelöst …«
»Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, Herr Oberstaatsanwalt.«
»Aber ich! Ich! Und nun kommen Sie daher und machen solch einen Quatsch! Sie sehen Mauern, wo ein Loch in der Luft ist! Sie sammeln Löschpapier und belästigen Professor Ebbertz damit! Was soll das, Ritter? Unser gemeinsamer Freund Erlanger ist begraben, unser aller Mitleid und Fürsorge gilt der armen Witwe, die Kameraden werden Richard nie vergessen … aber vergessen Sie endlich Ihre dämliche Theorie von einem Mord!« Dr. Breuninghaus gab sich sehr jovial, er beugte sich sogar zu Werner Ritter über die Schreibtischplatte. »Waren Sie noch nie besoffen, Werner?«
»Doch. Aber immer so, daß ich wußte, was ich tat.«
»Aha! Sehen Sie! Unsere Freunde aber haben einen drauf gemacht, daß die Wände wackelten und die Erde bebte. In Rußland haben wir das ein paarmal erlebt … mit Samogonka, einem Knollenschnaps! Drei Tage ist man verblödet, mein Lieber!« Dr. Breuninghaus erhob sich abrupt. Unwillkürlich straffte sich auch Werner Ritter. »Graben wir also das Kriegsbeil ein, Werner! Werden Sie kein Don Quichotte, der mit Windmühlenflügeln kämpft!«
»Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt.« Werner Ritter fiel es schwer, dies zu sagen, und er wußte, daß er damit log.
»Sie stellen die Ermittlungen ein.«
»Ja.«
»Alle Akten Erlanger zu mir.«
»Ich lasse sie gleich zu Ihnen schicken.«
»Und zum nächsten Divisionsstammtisch lade ich Sie ein.«
»Ich bedanke mich, Herr Oberstaatsanwalt.«
Dr. Breuninghaus lächelte freundlich. »Ihr Vater macht das ganz falsch, mein Bester. Er redet! Er ist eben ein Mann des gewaltigen Wortes! Aber man muß die Jugend an die Quellen heranführen, aus denen die Nation Kraft trinkt! Wir werden Ihnen beim Divisionsstammtisch eine Welt zeigen, von der man Ihnen nie erzählt hat in dieser schwindsüchtigen Demokratie.«
Bedrückt verließ Werner Ritter das Zimmer Dr. Breuninghaus'. Im Morddezernat wartete Kriminalrat Dr. Lummer ungeduldig auf seinen jungen Assistenten.
»Na, was ist?« fragte er, kaum daß die Tür aufging und er das Gesicht Ritters sah. »Durch die Mangel gedreht?«
»Kaum, Herr Rat.« Ritter setzte sich kopfschüttelnd auf den einfachen Buchenstuhl, auf dem schon Mörder und Sexualverbrecher gesessen hatten und ihre schauerlichen Geständnisse abgaben. »Aber ich verstehe vieles nicht mehr.«
»Das ist gut!« Dr. Lummer griff zu seinen höllischen Zigarren. »Was hat er gesagt?«
»Alle Akten Erlanger zu ihm! Einstellen.«
»Ein Bote saust sofort los! Ich bin froh, wenn ich diesen Mist aus dem Zimmer habe!«
»Waren Sie auch Soldat, Offizier?« fragte Ritter langsam. Dr. Lummer schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich war untauglich. Ich hatte zwei Magengeschwüre und in der Musterungskommission einen guten Freund.« Er lachte schallend, gab Ritter eine seiner gefürchteten Zigarren und bestand darauf, daß er sie vor seinen Augen anrauchte.
Das war schlimmer als der donnerndste Anpfiff Dr. Breuninghaus'.
Eine halbe Stunde verbrachte Werner Ritter hinterher auf der Toilette. Ihm war speiübel.
5
Schreibert lag allein in seinem kleinen Zimmer, starrte durch die Schlitze des dicken Kopfverbandes gegen die weißgetünchte Decke und trank über einen dünnen langen Gummischlauch Fruchtsaft aus einer Flasche, die an einer Art Galgen über seinem Kopf hing.
Madeleine Saché hatte man aus dem Krankenzimmer entfernt. Es hatte sich als unmöglich herausgestellt, sie länger bei Schreibert zu lassen, denn als die Mannequins seines Modesalons damit begannen, große Blumensträuße und nette Kärtchen mit lieben Worten zu schicken, benahm sich Madeleine wie ein Pariser Fischweib, warf die herrlichen Rosenbuketts an die Wand, zerfetzte die Kärtchen, nannte jede Absenderin eine Hure und beschuldigte den wehrlosen Schreibert, mit jeder der Rosenschickenden schon im Bett gelegen zu haben. Sie tobte in einer solch leidenschaftlichen Eifersucht, daß der Chefarzt ihr eine Beruhigungsinjektion geben mußte, sie nach Hause fahren ließ und ihr das Betreten der Klinik einfach verbot.
»Das war eine gute Tat!« Es waren die ersten deutlichen Worte, die Schreibert aus seinem dicken Verband heraus sprechen konnte. »Lassen Sie sie bloß nicht wieder herein!«
»Keine Sorge, Herr Schreibert.« Der Chefarzt setzte sich auf die Bettkante und sah den unförmigen, umwickelten Kopf an. Aus zwei Schlitzen blickten ihn die blauen
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