Zum Nachtisch wilde Früchte
Hände begütigend auf die zuckenden Arme Schreiberts. »Du hast es im LSD-Rausch getan. Käme es zu einer Verhandlung, wäre das ohne weiteres eine Tat im Sinne des § 51,1. Völlige Unzurechnungsfähigkeit. Aber es kommt zu keinem Verfahren. Konrad Ritter hat über Breuninghaus die Ermittlungen einstellen lassen. Es heißt Tod durch Selbstmord in Volltrunkenheit. Von LSD und allem anderen weiß keiner etwas. Auch Konrad nicht! Darum sage ich dir das alles so klar und grob, Hermann. Auch du weißt von nichts. Wir haben Alkohol getrunken, uns mit den Miezchen beschäftigt, und dann Sense!«
»Ich habe Richard nicht umgebracht …«, stammelte Schreibert. »Richard war mein bester Freund. Wie Brüder waren wir. In Rußland –«
»Hör jetzt auf mit Rußland, Hermann! Wir müssen uns einig sein: Wir haben nie etwas von LSD gehört.«
»Nie!« sagte Schreibert kaum hörbar.
Und dann sah Boltenstern, wie aus den Sehschlitzen des Verbandes langsam kleine Tropfen rannen. Die Schultern Hermanns zuckten, und die verharschten Lippen waren aufgesprungen wie eine frische Wunde.
Schreibert weinte.
Er weinte um seinen Freund Erlanger, er weinte über sich selbst, er weinte um diesen sinnlosen Mord, den er begangen haben sollte, er weinte um die Erkenntnis, daß so etwas überhaupt möglich sei.
Leise verließ Boltenstern das kleine Zimmer, an dessen Tür das Schild ›Eintritt verboten‹ stand.
Schreibert sah ihm nach. Die Tränen brannten auf seiner zerstörten Haut.
Und während er weinte, gebar sein Herz einen plötzlich aufwallenden unbändigen Haß gegen den Mann, der ihm die Wahnsinnsdroge LSD mit einem Streifchen Löschpapier in das Sektglas gegeben hatte.
Ein Haß, der, je länger Schreibert über ihn nachdachte, ihm den Atem nahm.
Zehn Minuten später mußte er eine Herzspritze und eine Beruhigungsinjektion bekommen.
Es war Mitte Juni, an einem warmen, hellen Abend, als sich Jutta Boltenstern und Werner Ritter im Rosengarten von Schloß Benrath trafen. Nicht zufällig, nein, so etwas wollen wir nicht anbieten. Die Realität ist wesentlich romantischer und doch moderner: Jutta und Werner liebten sich bereits seit einem halben Jahr.
Niemand wußte es, nicht einmal ahnen konnte man diese Liebe. Als Boltenstern zum erstenmal die heimlichen Blicke bemerkte, die Jutta und Werner miteinander wechselten, damals, an diesem schrecklichen Katermorgen vom 22. Mai, als Richard Erlanger vor ihnen verkrümmt auf dem Teppich lag, waren sie sich schon lange darüber einig, daß sie zueinander gehörten. Was ging diese Liebe ihre Väter an? Konrad Ritter lebte sowieso in einer Welt, die für Werner versunken war wie Atlantis, und er sah seinen Vater wie den letzten Anbeter eines Fetisches an, den irgend jemand mit anderen Fossilien ausgegraben hatte. Er gab ihm eine Art Narrenfreiheit, aber sie brachte es auch mit sich, daß Werner Ritter nie über seine eigenen privaten Probleme mit seinem Vater sprach. Auf die Frage aller Väter: »Sag mal, du bist jetzt 26 Jahre, willst du nicht bald heiraten?«, antwortete Werner dann immer: »Wird schon werden, Vater!« Und damit war der Einbruch in die persönliche Sphäre abgewehrt und bereinigt.
Mit Jutta war es nicht anders. Sie versorgte ihren in den Alltagsdingen tolpatschigen Vater wie eine geduldige Ehefrau (wir wissen ja, daß Boltenstern diese Rolle vollendet spielte), erzählte von ihrem Reporterinnendasein, brachte ihre Berichte mit, die Boltenstern lobte oder kritisierte, aber was sonst mit Jutta geschah, lag wie hinter einer dicken Milchglasscheibe. Manchmal sah Boltenstern Schattenrisse darauf … neue Kleider, neue Frisuren, einen Tanzabend, Partys mit Journalistenkollegen, ein paar harmlose Flirts … aber in ihre Gedanken drang er nie, und noch weniger in ihr Herz.
Und so kam es, daß weder Konrad Ritter noch Alf Boltenstern wußten, daß Jutta und Werner sich heimlich trafen, aber eigentlich war das ja gar nicht heimlich, denn sie verbargen ja nichts und hätten sich zueinander bekannt, wenn man sie überhaupt gefragt haben würde. An diesem warmen Mittjuniabend wartete Werner Ritter schon im Rosengarten von Schloß Benrath, als Jutta Boltenstern mit einem Taxi vorfuhr, bezahlte und ihm entgegenlief. Sie kam von einer Reportage und mußte sofort wieder zum Verlag zurück, damit der Bericht noch in die Morgenausgabe aufgenommen werden konnte.
»So wichtig?« fragte Werner Ritter ein wenig enttäuscht. »Vierlinge geboren? Oder eine Riesenkartoffel von fünf Pfund
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