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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Augen Schreiberts an, ein dritter Schlitz gab den Mund frei, verkrustete, aber noch gut erhaltene Lippen. Nur unterhalb des Mundes, zum Kinn hin, begannen wieder die Mull-Lagen und ahnte man die grauenhafte Verstümmelung dieses früher immer lachenden, genußfrohen Gesichtes.
    »Wie fühlen Sie sich?« fragte der Arzt.
    »Saumäßig! Ich bin auf die Visage gefallen, was?«
    »Ja.«
    »Schlimm?«
    »Es läßt sich alles reparieren.« Der Arzt wich aus. Gerade in der Medizin gibt es elegante Möglichkeiten, Patienten zu beruhigen. Schreibert war zufrieden. Er hatte seinen Kopf abgetastet und einen Moment an die vielen Witzzeichnungen gedacht, die Männer mit völlig umwickelten Köpfen zeigen und davor die schimpfende Ehefrau: »Lach nicht so unverschämt!« Über den wirklichen Ernst seiner Lage war er nicht unterrichtet. An die Tragik, mit einem nicht mehr menschenähnlichen Gesicht herumzulaufen, dachte er überhaupt nicht. Dieser Gedanke war so unmenschlich, daß er Schreibert gar nicht in den Sinn kam.
    Am Nachmittag besuchte ihn Boltenstern. Er brachte eine Flasche leichten Rotwein mit – vom Chefarzt erlaubt – und klopfte Schreibert auf die Schulter. Es war das erstemal, daß sie sich nach der Party sahen … zwei Besuche Boltensterns hatte Schreibert nicht wahrgenommen, weil er noch besinnungslos oder – beim zweitenmal – gerade in der Narkose lag und aus dem OP heraufgebracht worden war.
    »Das ist schön, daß du kommst, Alf«, sagte Schreibert und umklammerte Boltensterns Hand. »Da liege ich nun mit zerschundener Fresse! Junge, Junge, ist das ein Teufelszeug, dieses LSD! Wenn ich das vorher gewußt hätte …«
    »Hast du schon davon erzählt?« fragte Boltenstern ruhig. Er entfernte die leere Fruchtsaftflasche aus dem Galgengestell, entkorkte mit einem Taschenkorkenzieher die Rotweinflasche, hing sie in die Halterung und steckte den dünnen Gummischlauch in den Flaschenhals. Gierig sog Schreibert zwei tiefe Schlucke und grunzte wohlig.
    »Französischer …«, sagte er sachkundig.
    »St. Emilion 1959.«
    »Du bist ein Goldstück, Alf.« Schreibert spuckte den Gummischlauch aus, und Boltenstern nahm ihn und hing ihn an einen Haken neben der Flasche. »Was ist eigentlich alles an diesem Abend passiert?« fragte er.
    »Allerhand, Hermann«, antwortete Boltenstern trocken.
    »Ich habe nur eine vage Erinnerung. Nachdem ich aus der verdammten Taiga heraus war –«
    »Wo warst du?«
    »Als Nerzmännchen in der Taiga! Aber das erzähle ich dir später.« Schreiberts Lippen zuckten. Sein Gesicht brannte trotz der kühlen Salbe, die auf seiner zerstörten Haut lag. »Ich habe da die Mädchen auf dem Teppich liegen sehen, eine mit den Beinen an der Wand hoch, und dann bin ich weggegangen, weil mir der Kopf summte wie mit tausend Bienen gefüllt, bin in meinen Wagen gestiegen … und ich wache auf hier im Bett.«
    »War die Kriminalpolizei schon bei dir?« fragte Boltenstern langsam. Durch den Körper Schreiberts flog ein Zittern.
    »Die Krim… Nee, warum?«
    »Erlanger ist tot.«
    »Richard –« Schreiberts Augen mit den Sehschlitzen des Verbandes flackerten. »Auch … auch mit dem Auto?«
    »Nein. Ermordet.«
    »Er…«
    »Mit einem Schal, seinem eigenen Seidenschal, erwürgt. In Tonis Wohnung … auf unserer Party …«
    »Um Gottes willen!« Schreibert wollte sich aufrichten, aber es gelang nicht. Sein linkes Bein war bis zum Oberschenkel eingegipst, um seinen Oberkörper hatte man feste Bandagen gewickelt. »Alf! Das kann doch nicht wahr sein! Gerade Richard …«
    »Wir haben ihn am 28. Mai in allen Ehren begraben.«
    »Und … und … wer hat Richard …«, stammelte Schreibert. Sein dickumwickelter Kopf wühlte sich in die Kissen. Entsetzen überfiel ihn. Es sah aus, als wolle er sich verkriechen.
    »Du!« sagte Boltenstern kurz.
    »Nein!« Ein Aufbrüllen war das, ein Schrei, der in einem Gurgeln erstickte. »Nein … nein …«
    »Du hast den Schal geholt … Richard erwürgt … und dabei hast du immer ›Dawai, dawai‹ geschrien. Ich habe dabeigesessen und konnte mich nicht rühren … Und dann bist du weggegangen.«
    »Das ist nicht wahr«, wimmerte Schreibert. Seine Stimme war kindlich und kläglich. »Ich weiß doch von nichts … Ich war in der Taiga, ich war ein Nerzmännchen, und ein Jäger verfolgte mich … sein Kopf kletterte hinter mir her, auf die höchsten Bäume. – Ich habe doch keinen umgebracht! Ich war es nicht!«
    »Du weißt es nicht, Hermann.« Boltenstern legte seine

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