Zum Nachtisch wilde Früchte
geerntet?«
»Du sprichst wie mein Vater!« Jutta Boltenstern verzog den hübschen, blaßrot geschminkten Mund. »Um das Redaktionsgeheimnis zu brechen: Ich hab' ein Interview mit dem Schuhkönig von Amerika. Mr. Josuah Abram Rilley. Wohnt im ›Breitenbacher Hof‹. Rilley gilt als pressescheu … aber ich habe ein Interview. Was sagst du nun?«
»Wer so aussieht wie du, dem springen alle Türen auf! Das ist kein Kunststück!« Ritter lachte, umfaßte Jutta und gab ihr einen Kuß.
»Du bist verrückt!« rief sie und sah sich um. »Vor allen Leuten!«
»Im Rosengarten sind genau vierzehn Menschen, sieben Männer, sieben Frauen. Immer paarweise! Man braucht kein Kriminalist zu sein, um zu kombinieren, daß diese sieben Paare mit sich selbst so intensiv beschäftigt sind, daß sie sich um ein achtes, sich aus tiefster Überzeugung küssendes Paar in keiner Weise kümmern …«
»Das war bestes Amtsdeutsch! O Himmel, Werner, sollten wir jemals heiraten … das wird eine merkwürdige Ehe!«
Ritter legte den Arm um Juttas Schulter, und so gingen sie um die Rosenrabatte und den kleinen Springbrunnen in der Mitte, reihten sich ein in die Promenade der anderen sieben Paare und umkreisten die süß duftenden Blüten, ohne sie zu riechen noch bewußt zu sehen. Auch darin hat sich in der Liebe nichts geändert.
»Dr. Lummer hat angedeutet, daß ich bei der Beförderungsvorlage im nächsten Jahr auf der Liste zum Kommissar stehe«, sagte Werner Ritter. »Dann können wir heiraten.«
»Und im nächsten Jahr ist meine Probezeit als Volontärin vorbei, und ich bekomme einen richtigen Journalistenjob.«
Jutta Boltenstern blieb stehen und hob die Finger, als wolle sie wie ein Kind einen Auszählvers absingen.
»Wieviel verdienen wir dann eigentlich?« fragte sie. »Ich vielleicht 500 Mark. Und du?«
»850, denke ich.«
»Macht zusammen 1.450 DM. Davon kann man einen Hausstand gründen.«
»Das denke ich auch!« Werner Ritter nahm die Hände Juttas und drückte sie an seine Lippen. Es war eine Zärtlichkeit, die sie nicht von ihm gewöhnt war. Verwundert zog sie ihre Hände weg.
»Was hast du?« fragte sie.
»Angst, mein Liebling.«
»Angst? Wovor?«
»Vor deinem Vater.« Werner Ritter wandte sich etwas zur Seite und sah hinüber zu dem leise plätschernden Springbrunnen. Über die Wipfel der Parkbäume zogen die Schatten des Abends.
Werner Ritter konnte in diesen Minuten nicht in die Augen Juttas blicken. Noch weniger war es ihm möglich, ihr die volle Wahrheit zu sagen, die er seit drei Tagen wie eine Zentnerlast mit sich herumschleppte.
»Mein Vater würde sich freuen –«, sagte Jutta langsam. Aber in ihrer Stimme schwang gleichzeitig eine unausgesprochene Frage.
»Das glaube ich nicht.« Werner Ritter verfolgte die Wasserkaskaden des Brunnens mit unruhigen Blicken. »Es sind Dinge eingetreten, die mich zwingen, wieder zu ermitteln.«
»Wegen Onkel Richard?«
»Ja.«
»Aber der Oberstaatsanwalt …«
»Dr. Breuninghaus weiß noch nichts von der neuen Lage. Ich unterrichte ihn auch nicht! Ich will mir diese neue Spur auch nicht wieder abwürgen lassen! Mit einem deutlichen Beweis gehe ich zu ihm, den kann er nicht abtun mit Reden über Kameradschaft und Freundschaft.«
»Und mein Vater … mein Vater …« Jutta sprach nicht weiter. Aber sie faßte Ritters Arm, und ihre Nägel drangen durch den Stoff der Jacke in seinen Oberarm.
»Kennst du LSD?« fragte Ritter mit belegter Stimme.
»Nein.«
»Ich kannte es auch nicht. Vor einer Woche gelangte ein Bericht zu uns auf die Dienststelle, zusammengestellt vom Landeskriminalamt. ›Erfahrungen mit dem Rauschgift LSD‹, hieß er. Es war eine Sammlung von Polizeiberichten aus den USA, England und Frankreich. In diesen Berichten waren Partys beschrieben, die man vor allem in Amerika mit diesem LSD veranstaltete … Partys, bei denen die Teilnehmer sich völlig veränderten, eine neue, wahnwitzige Welt wahrnehmen, sich in Tiere oder Pflanzen verwandelten oder in Traumwelten lebten, als Inkaprinzen, als Seeräuber, als Großwildjäger. Einer war sogar ein ›Kaiser der Eskimos‹ und wohnte in einem Eispalast auf Grönland.«
»Verrückt«, sagte Jutta Boltenstern, »aber interessant.«
»Dieses LSD wurde in der Schweiz entdeckt, durch Zufall, von einem Dr. Hofmann im Labor der Sandoz-Werke. Bei einem Destillationsvorgang atmete er geruch- und geschmacklose Dämpfe ein und verfiel in einen grauenhaften schizophrenen Anfall. Das war die Geburtsstunde des
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