Zum Nachtisch wilde Früchte
er etwas asthmatisch. »Wegen völlig klarer Lage der Dinge geschlossen!«
»Ach! Daher weht der Wind«, sagte Werner Ritter und ließ den Bierflaschenstöpsel schnalzen. Konrad Ritter zuckte zusammen, als habe ihn ein Schuß getroffen.
»Laß die dummen Halbstarkenbemerkungen deinem Vater gegenüber!« schrie er. »Das mag der Ton sein, der jetzt in Deutschland üblich ist – jeder Zeitirrsinn hat seine Sprache, von da-da über ballaballa bis Yeah-Yeah-Yeah – aber nicht bei mir! Bei mir nicht! Ich rede ein kerniges Deutsch! – Du ermittelst aber weiter in Sachen Erlanger?!«
»Woher weißt du das, Vater?«
»Penetrantes riecht man!« Konrad Ritter schnaufte tief. »Willst du unsere Freunde, willst du den ganzen BdD brüskieren?!«
»Einer dieser Freunde ist ein Mörder!« sagte Werner Ritter ruhig und schüttete sich ein Glas Bier ein.
Major a.D. Ritter zuckte hoch. »Ich verbiete dir …«, brüllte er, aber sein Sohn hob den rechten Zeigefinger, als zeige er in der Schule auf. Verblüfft unterbrach Ritter seinen Ausbruch.
»Auf dem Schal, mit dem Erlanger erdrosselt wurde, befinden sich in einmaliger Klarheit die Fingerabdrücke Schreiberts. Bevor du, lieber kerndeutscher Papa, auch die Kunst der Daktyloskopie anzweifelst, möchte ich dir sagen, daß auch in deinem damaligen Idealdeutschland die Kriminalbeamten nach Fingerabdrücken Mörder verhafteten. Es ist also keine billige und verwerfliche Nachkriegserfindung von Demokraten und Pazifisten.«
»Wie redest du mit mir?« sagte Konrad Ritter starr. Mit steifen Beinen ging er zu seinem Sohn und baute sich vor ihm auf. »In welch impertinentem Ton redest du da?! So spricht man mit Nazis!«
»O Gott, Vater! Erlaß mir eine Antwort!«
»Es gibt keinen Mörder!« schrie Ritter.
»Doch! Es gibt einen!«
»Nein! Wir waren fünf Kameraden! Wir sind durch Sibirien, durch die Taiga, durch Hunger und Fieber und Durst und Elend marschiert, wir waren immer zusammen, wir fünf, undenkbar wäre es gewesen, zu denken, wir könnten uns trennen … bis heute ist es so. Bis heute! Und einer soll nun ein Mörder sein? Das ist Irrsinn, Junge!«
»Du schaltest ja schon mal aus, Vater.«
»Und der Ermordete auch, denn er hat sich ja selbst umgebracht.«
»Nein!«
»Es war nicht Schreibert!« schrie Konrad Ritter. »Der arme Kerl liegt ohne Gesicht in der Klinik und kann sich an nichts mehr erinnern! Und er weiß noch gar nicht, daß er für sein ganzes Leben verstümmelt ist, daß er wie eine Fratze aussehen wird, daß die Mädchen vor ihm weglaufen, wenn er lächelt, denn es wird wie das Grinsen eines Totenkopfes aussehen! Und diesen armen Kerl, diesen treuen Kameraden –«, Ritters Stimme schwankte vor Ergriffenheit –, »dieses arme Schwein, das so elend daliegt, daß man laut heulen sollte, diesen armen Mann willst du zum Mörder stempeln! Wenn du nicht mein Sohn wärst … anspucken würde ich dich! Dir ehrlosem Gesellen würde ich in die Fresse schlagen!«
»Vater!« Werner Ritter war aufgesprungen. Dabei fiel das Bier um. Ein schaumiger gelber Bach kroch über die Tischdecke und tropfte dann an der Tischkante auf den Linoleumboden. »Bis zu einer gewissen Grenze lasse auch ich mir etwas gefallen! Aber die Grenze ist nun überschritten!«
»Du hast kein Gefühl für unverbrüchliche Kameradschaft!« keuchte Konrad Ritter. Ganz dicht standen sie sich gegenüber … ihr erregter Atem stieß aneinander. »Du bist auf die Knochen demokratisch infiziert! Du bist der Typ des deutschen politischen Paralytikers!«
»Und du bist einer der ewig Gestrigen. Die nichts gelernt haben! An denen zwei Weltkriege spurlos vorbeigegangen sind. Die noch immer Hurra schreien, wenn sie eine Uniform sehen, die bei Marschmusik plötzlich Hummeln im Hintern haben und mitmarschieren müssen, denen die Augen feucht werden, wenn von Deutschlands großer Zeit gesprochen wird … eine Zeit mit 55.000.000 Toten! Glaubst du, mit deinem Kaiser-Wilhelm-Hirn ist ein Deutschland aufzubauen?«
»Oh, diese Jugend!« brüllte Konrad Ritter und ballte die Fäuste. »Seid ihr blind? In jedem Amtszimmer der USA hängt eine Fahne der Nation, de Gaulle geht herum und küßt die Fahnen der Truppen, über dem Sarg Kennedys lag die Flagge, die englische Königin weiht jedes Jahr Fahnen ihrer Armee, überall in der Welt ist die militärische Tradition ein Grundstein der Nation, sogar in Rußland, sogar dort – nur uns will man alles nehmen, allen Gemeinschaftsgeist, alle preußische Tradition, alle
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