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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Daunenkissen aller Sessel und Couchen des Hauses. Dann holte er aus dem Schlafzimmer den bis zur Erde reichenden Frisierspiegel und stellte ihn vor das Feuerloch des Kamins, setzte sich auf den dicken Teppich, umgab sich mit den marokkanischen Sitzkissen wie mit einem gepolsterten Wall, goß sich ein Glas Sekt ein und pellte ein Stück Zucker aus dem Stanniol.
    Doch bevor er es im Sekt auflöste, sah er sich noch einmal im Spiegel an … und was er sah, war so deprimierend, daß es ihm in der Kehle würgte. Ein auf der Erde hockender, von Sitzkissen umgebener Mensch, mit einem blassen Gesicht und hohlen Augen, ein Zucken um die Lippen wie ein Morphiumsüchtiger, der spürt, wie das Gift in seinem Körper nachläßt, die Haare zerwühlt und verschwitzt, mit offenem Kragen und heruntergezogenem Schlips … das Bild einer Auflösung, die Verzerrung des Menschen Huilsmann, von dem man einmal sagte, er sei einem Modejournal entsprungen und besitze die natürliche Begabung eines männlichen Mannequins.
    »Nein!« sagte Huilsmann laut zu seinem Spiegelbild. »Man muß haushalten! Nur ein halbes Stück … es wird genügen.«
    Er zerbrach das Zuckerstückchen und warf die eine Hälfte in das Sektglas, die andere wickelte er sorgfältig wieder in das Stanniol und legte sie neben den Spiegel an den offenen Kamin.
    Als betrachte er eine interessante Theateraufführung, beobachtete er, wie sich der Zucker auflöste, wie Körnchen nach Körnchen sich mit dem Sekt verband und nur ein kleiner Bodensatz übrig blieb, den Huilsmann durch mehrmaliges Schwenken des Glases gleichfalls verschwinden ließ.
    Nun habe ich die Zauberwelt im Glas, dachte er, und ein Beben überfiel ihn, das ihn selbst beim Anblick der schönsten Frau nie ergriffen hatte. Mit beiden Händen umfaßte er das Sektglas, führte es zum Mund und trank es mit einem tiefen Zug leer. Eine Gier war in diesem Schluck, die ganz von ihm Besitz ergriff.
    Dann saß er vor dem Spiegel und wartete. Er betrachtete sich genau. Weiten oder verengen sich die Augen? Wird der Mund schief? Wackelt der Kopf? Beginne ich zu lachen? Zucken die Glieder? Ein wahrhaft herrliches Spiel war es, sich so zu sehen, zu warten, bis die Pforte zum Zauberreich aufgestoßen wird und man eintreten kann in einen Garten, gegen den das Paradies verunkrautet war.
    Ein wenig schwindlig wurde ihm, und er beugte sich vor, um sein Spiegelbild zu kontrollieren. Ein bleiches Gesicht, große blaue Augen, die ihn anstarrten, als wollten sie ihn fragen: Toni Huilsmann –, was machst du mit mir …?
    Und dann war kein Spiegel mehr da, kein Mensch, den er beobachten konnte, wie er die Schwelle zur violetten Hölle überschritt. Auf dem Rücken lag er, die Beine hochgestemmt und dann wieder anziehend, als fahre er an der Decke des Zimmers Rad, und seine Arme bewegten sich wie bei einem Schwimmer und schienen schwerelos über dem Teppich zu schweben.
    Wie weit war die Welt!
    Ein Ballon schwebt durch den Himmel, und der Himmel ist gelbrot kariert, und in jedem Karo hängt eine kleine Sonne mit dem Gesicht eines Mädchens. Und der große Ballon, der da herumschwebt, ist der Kopf Huilsmanns, und er singt dabei, und alle Sonnen antworten ihm mit einem Zwitschern, wie ein riesiger Schwarm Schwalben, bevor sie im Herbst nach Süden ziehen.
    Eine Stadt. Häuser, bemalt mit Fratzen. Häuser in Grün, Rot und Orange, leuchtende Häuser, als seien die Wände aus buntem Glas. Und der Ballon schwebt durch die Straßen und sieht in alle Zimmer. Aber da wohnen keine Menschen drin, sondern nur einzelne Gliedmaßen … ein Bein, ein Arm, zehn einzelne Finger, ein Knie, ein Ohr, zwei Nasen, die miteinander schnäbeln, eine Brust, ein männlicher Unterleib, auf einer goldenen Schüssel sich ausruhend, ein himmelblaues Herz mit einer roten Baskenmütze, und alle diese Gliedmaßen leben und winken dem Ballon zu, und der Kopf Huilsmann ruft ihnen zu: »Guten Morgen, Freunde! Guten Morgen! Es ist die Zeit der Venus! Heraus! Heraus!«
    Und die Gliedmaßen kommen aus den gläsernen Häusern, schnallen sich Flügel um und fliegen dem Ballonkopf nach … das Bein, der Arm, die Nasen, die Brust, das Herz mit der roten Baskenmütze, der männliche Unterleib … sie fliegen, schön ausgerichtet wie eine Jagdfliegerstaffel, hinter Huilsmann her und landen auf einer silberbestickten Wiese und tanzen einen Ringelreihen und wachsen und wachsen und werden fertige Körper, Männer und Frauen, die jauchzend zueinander und übereinander stürzen und

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