Zum Nachtisch wilde Früchte
Boltenstern, als stiegen sie geradewegs in die Sonne hinein. Petra stieg ihm voraus, mit einer zähen Kraft, die Boltenstern nicht verstand. Immer wieder fragte er sich, woher sie nach den wilden Nächten die Kraftreserven nahm, am Tage herumzuspringen wie ein ausgeruhtes Fohlen. Diese Frau war ein Wunder, das war das einzige, das Boltenstern so irrsinnig an sie fesselte. Ein Wunder an Schönheit, Zähigkeit, Kraft und Teufelei. Ein Gegner, dessen Niederwerfung wie die Eroberung des Weltalls war.
Nach zwei Stunden Kletterei durch ödeste, heiße Felsen blieb Petra Erlanger stehen. Vor ihnen fiel der Berg steil ins Meer ab … tief unter ihnen donnerte die Brandung um spitze Klippen, spritzte der Gischt haushoch gegen das Gestein, brüllte das Meer unter der Wut, sich an den Felsen schlagen zu lassen. Schaudernd sah Boltenstern hinab in die Tiefe, und dann ging er schnell drei Schritte weg vom Abhang, von einer plötzlichen Angst getrieben, denn Petra stand hinter ihm. Sie sprach kein Wort, aber um ihren Mund lag wieder das Madonnenlächeln. Federnd ging sie zum Rand des Abgrundes, drehte sich zu Boltenstern und neigte etwas den Kopf zur Seite wie in Erwartung eines zarten Gesanges.
»Nun?« fragte sie. Ihre Stimme war ganz klar. Boltenstern zog die Schultern hoch.
»Was heißt nun?« fragte er heiser.
»Warum stößt du mich nicht hinunter? Du hast doch daran gedacht …«
»Nein!« rief er laut.
»Warum lügst du? Du wärest kein Kerl mit Stolz in der Brust, wenn du daran nicht gedacht hättest!«
»Warum sollte ich dich hinunterstoßen, Petra?«
»Weil du mich haßt, wie du Richard gehaßt hast.«
»Laß Richard aus dem Spiel!« sagte Boltenstern tief atmend. Schweiß sammelte sich in seinen Handflächen. Er dachte an die Tiefe, an das donnernde Meer, an die spitzen Klippen in dem Gischt. Sie waren allein. Es gab keine Zeugen. Es würde der perfekte Mord sein. Heulend würde er hinunter in die Stadt rennen und von dem grauenhaften Unfall erzählen können …
»Ich habe Richard elf Jahre lang verkannt … weil ich dich nicht kannte!« sagte er dumpf. »Geh von dem Abhang weg, Petra!«
»Warum? Du bist ein Mann, der bisher jede Chance wahrgenommen hat! Sogar mich erträgst du mit einer mir unheimlichen Geduld! Das Leben ist grausam zu dir, Alf Boltenstern. Immer, wenn du zu den Sternen greifst, verglühen sie dir die Hände! Was hast du mit mir vor?«
»Ich werde dich heiraten!«
»Du wirst ein Spielzeug in meinen Händen sein! Ich dulde keinen anderen Willen als meinen eigenen!«
»Wir werden uns zusammenleben, Petra«, sagte Boltenstern.
»Was tätest du nicht für einige Millionen, nicht wahr, Alf? Sogar zu einem Sklaven wirst du! Sieh mich nicht an wie ein ausgesetzter Hund! Habe ich dich erkannt?! Es gibt keinen Mann, der mich ehrlich lieben könnte! Ich kenne mich! Ich bin ein Sadist … ich habe eine Lust zu quälen, und wenn es dunkel wird, bin ich wie eine Wölfin, die eine Beute reißen muß und sich am besiegten Opfer berauscht.« Petra Erlanger lächelte.
»Und das hat Richard elf Jahre lang ertragen?«
»Nein! Nach zwei Jahren nahm er mich, riß mich aus dem Bett, warf mich gegen die Wand und prügelte mich, bis ich ohnmächtig war! Dann beachtete er mich nicht mehr. Er war ein Mann! Ein richtiger Mann!«
Kunststück, dachte Boltenstern. Er hatte sie geheiratet, er hatte die Fabriken und die Millionen. Mehr wollte er nicht. Warte nur, mein Teufelchen, bis ich dich eingefangen habe. Mit zwanzig Streifen Löschpapier voll LSD bringe ich dich in ein Irrenhaus! So hat noch kein Mann seine getretene Ehre zurückerobert!
»Laß uns gehen, Petra!« sagte er laut. »Es zieht ein Gewitter herauf. In Minutenschnelle kann der Himmel dunkel sein, und die Blitze zucken herunter. Komm.«
»Du stößt mich nicht hinab?« fragte Petra und wippte auf den Zehenspitzen. Es sah so aus, als wollte sie sich selbst vom Felsen abschnellen und hinunterwerfen ins brüllende Meer.
»Nein!« schrie Boltenstern. »Komm zurück! Verdammt, ich liebe dich doch!«
Er drehte sich herum und begann, den Berg hinunterzusteigen.
Wie er es vorausgesagt hatte, so wurde es. Der Himmel überzog sich unwahrscheinlich schnell mit dicken, dunklen Wolken, Blitze zuckten herab, der Donner krachte in den Felsen, als zerberste der ganze Berg, und dann sanken die Wolken herab, umgaben die Felsen und hüllten Petra und Boltenstern in einen graugelben Nebel. Gleichzeitig begann es zu regnen, dicke, klatschende Tropfen, die auf die
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