Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)
eine hübsche Nebenrolle. Das Auto hingegen ist noch längst nicht fertig entwickelt. Ein Buckeltaunus von 1951 sieht nicht nur außen anders aus als ein Streifentaunus von 1962, vor allem der Motor hat sich weiterentwickelt. Das wird sich wohl noch lange nicht ändern.«
Wasserdichte, widerstandsfähige automatische Uhren hatte Omega bereits während des zweiten Weltkriegs an die Royal Air Force geliefert, erzählte er weiter. Sie waren von den Piloten außerordentlich geschätzt worden. Von dawar es nach dem Krieg kein weiter Weg zu einer sportlichen Uhr, die sich jeder leisten konnte. Sämtliche Einzelteile konnten mühelos und preiswert ausgetauscht werden. Die Besonderheit der Seamaster waren das stabile Gehäuse, das unzerbrechliche armierte Glas und der innere Metallspannring. Kein Mensch wollte daran etwas ändern. Es gab immer neue Modelle. Grundsätzlich aber blieb sie, was sie war, eine verläßliche Uhr für jedermann.
»Ist das dein Vater auf dem Foto«, fragte er mich, und ich bejahte. »Er sieht dir wirklich ähnlich. Du siehst ihm ähnlich. Und wo ist die Uhr heute? Hat er sie verloren?« »Mein Vater lebt nicht mehr. Ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist. Ich weiß nicht, ob sie verlorengegangen ist, keine Ahnung. Ich werde versuchen, sie wiederzubekommen.« »Und wenn du sie findest, bringst du sie her.« »Ja, wenn ich sie finde. Ich würde sie gern finden.« »Ich werde sie mir anschauen. Ich werde nachsehen, ob sie in Ordnung ist, und sie reinigen. Ältere Uhren müssen regelmäßig überholt und gereinigt werde. Wenn man das beachtet, halten sie lange, länger als Autos. Ich werde nicht viel dafür verlangen. Versprochen?« »Wenn ich sie finde.« »Wann ist dein Vater gestorben?« Ich schwieg, und er sah mich an. »Kurz nach meiner Geburt. Ich habe ihn gar nicht gekannt. Ich kann mich nicht erinnern.«
Er nickte und schob das Foto in meine Richtung.
»Paß gut auf das Foto auf. Wenn du Glück hast, findest du mit dem Foto vielleicht die Uhr.«
Und dann sagte ich zu dem fremden Uhrmacher, der nicht einmal meinen Namen kannte, etwas, was ich nie zuvor zu irgend jemandem gesagt hatte: »Mein Vater«, sagte ich, ohne zu überlegen, »ist nicht einfach so gestorben. Er hat sich umgebracht. Als er sich tötete, trug er die Uhr bestimmt am Handgelenk. Warum sollte er sie ausgezogen haben?« »Vielleicht ist sie dabei kaputtgegangen.«Ich schüttelte den Kopf. »Er hat Tabletten genommen. Er hat sich nicht von einem Felsen gestürzt, das weiß ich.«
Plötzlich spannte sich sein Körper, und er schien noch um ein paar Zentimeter zu wachsen. Er tat, was meine Aufgabe gewesen wäre, nahm das Foto, schob es in den Umschlag zurück und steckte die Lasche hinein.
»Vielleicht hat er sie doch ausgezogen«, sagte er schließlich und hob die Schultern. »Mach’s gut, mein Junge, paß auf dich auf, und wenn du noch etwas wissen willst, kommst du einfach vorbei.«
Ich wandte mich um. Erst als ich draußen war, fiel mir ein, daß ich mich weder bedankt noch verabschiedet hatte. Die Ladentür fiel ins Schloß, und nachdem ich ein paar Schritte gegangen war, bemerkte ich die Ruhe, die draußen herrschte. Einen Augenblick lang vermißte ich das Ticken und Bimmeln der Uhren, aber kaum war ich in die nächste Straße eingebogen, war der Lärm der Stadt wieder da und verdrängte die Geräusche im Inneren des Ladens. Ich fragte mich, ob ich den Uhrmacher je wiedersehen würde.
Am nächsten Morgen blieb ich länger im Bett, aber ich schlief nicht. Ich wollte ruhig bleiben, wenn ich mit ihr sprach, doch ich fürchtete, daß es nicht von mir abhing, ob es gelingen würde. Wie immer wartete ich eine Gelegenheit ab, in der uns niemand stören würde. Gegen halb elf betrat ich die Küche, kurz darauf erschien meine Mutter, die gehört haben mußte, daß ich aufgestanden war. Sie hatte nichts zu tun, sie würde erst am Abend kochen, Roland war bei der Arbeit und kam mittags nur selten nach Hause. Die Zeiten, in denen ich mir wünschte, er wäre bei solchen Gesprächen dabei, gehörten der Vergangenheit an.
Ichhatte mich gewaschen, aber noch nicht gefrühstückt. Ich war hungrig. Mein Frühstücksgeschirr und die Marmelade standen noch auf dem Tisch, doch ich wußte, daß ich keinen Bissen herunterkriegen würde, solange ich nicht mit meiner Mutter gesprochen hatte, und danach vielleicht erst recht nicht. Sie öffnete den Eisschrank und stellte Butter und Milch auf den Tisch, dann schnitt sie Brot.
»Warum
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