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Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Zur falschen Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Zur falschen Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alain Claude Sulzer
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blickte von seinem Arbeitstisch auf. Er war etwa sechzig, trug einen blauen Kittel und hatte ein Okular ins linke Auge geklemmt, das er während unseres ganzen Gesprächs nicht abnahm, so jedenfalls habe ich es in Erinnerung. Als er die Lampe beiseite schob, stieß sie scheppernd gegen ein Metallregal, auf dem sich haufenweise zerlegte Uhren und Ersatzteile, Federn, Pendel, Uhrwerke, Schachteln und Schächtelchen stapelten. Etwas schwerfällig erhob er sich. Irgend etwas war mit seinen Beinen nicht in Ordnung. Er ging vorsichtig um den Werktisch herum, auf dem Feilen, Zangen, Pinzetten und zierliche Schraubenzieher lagen sowie anderes Werkzeug, das ich nie zuvor gesehen hatte, und stellte sich hinter die Theke, die, überragt von einer altmodischen, bronzefarbenen Kasse mit einer Drehkurbel und fingerkuppengroßen Tasten, den Raum in zwei Hälften teilte.
    Der Uhrmacher – Rentsch, wie ich annahm, so stand es draußen auf dem Messingschild – legte eine Hand auf die Kasse und beugte sich über die Theke. Mit Verwunderung stellte ich fest, wie breit und derb seine Hand war, und ich fragte mich, wie er mit diesen Fingern seine zierlichen Objekte fassen und bearbeiten konnte. Er kam mir riesig vor.
    »Bitte?«
    »Ich wollte etwas über eine Uhr wissen.«
    Er blickte mich fragend an und wartete.
    »Ichweiß nicht, ob ich dir helfen kann. Ich werde es gerne versuchen.«
    Er machte eine Kopfbewegung in die Runde und fragte: »Über welche willst du etwas wissen? Und was? Ich weiß nicht, ob ich habe, was du brauchst.« Er tippte sich an die Stirn. »Mein Gedächtnis«, sagte er, »war nie besonders gut. Nicht viel mehr als ein Räderwerk eben. Man muß es aufziehen, damit es funktioniert, und hin und wieder auffrischen. Man nennt uns auch rhabilleurs. Das paßt.« Er lachte. Und statt ungehalten zu werden, weil ich nichts sagte, fuhr er fort: »Du brauchst also die Beratung eines Garderobiers? Bitte.«
    Ich nickte, legte den festen Umschlag, in den ich das Foto meines Vaters gesteckt hatte, auf die Theke und zog das Porträt heraus. Rentsch hatte offenbar genausoviel Geduld wie seine Uhren. Seine Hand lag wieder auf der Kasse, die auf kleinen weißen Metallblättern in schwarzen Ziffern den letzten errechneten Betrag anzeigte.
    Ich drehte das Foto zu ihm um und sagte: »Diese Uhr hier ist eine Omega. Eine Seamaster. Sie kennen sie sicher.« Er beugte sich hinunter, betrachtete das Foto durch das Vergrößerungsglas und nickte. »Wohl wahr.«
    »Können Sie mir irgend etwas darüber sagen?« »Nun, was willst du wissen?« »Ich wüßte gern, wie alt sie ist. Wann sie hergestellt wurde. Ob sie noch hergestellt wird. Und – und was Sie davon halten, wie Sie sie finden, wie Sie sie einschätzen. Ob sie schön ist, ob Sie sie schön finden und wertvoll. Ob sie etwas Besonderes ist, etwas besonders Kostbares. Und ob sie hier auch eine haben. Das wollte ich wissen. Und vielleicht auch, wer sich so was leisten konnte.« Ich sprach zu schnell. Ich geriet ein wenig außer Atem. Wie sollte er sich all diese Frage merken?
    Er sagte ruhig: »Ich habe leider keine hier. Sie ist mir aber öfters untergekommen. Allerdings ist das eine Weile her.Du hast nur dieses Bild?« »Ja.« »Die Uhr hast du also nicht?« »Nein.«
    »Es sind einige durch meine Hände gegangen, aber nicht dieses Modell. Spätere Modelle.«
    »Unterscheidet sie sich von denen?«
    »Diese da auf dem Foto dürfte eine der ersten gewesen sein. Um 1950 oder 1951. Etwas Besonderes? Je nachdem, wie sehr man sein Herz daran hängt, ist sie etwas Besonderes, wenn auch nicht besonders wertvoll. Vielleicht handelt es sich hier sogar um das allererste Modell. Das kann ich erst erkennen, wenn ich sie vor mir habe und öffnen kann. Die Uhr kam 1948 auf den Markt. Du siehst, mein Räderwerk funktioniert einigermaßen. Sie hat ihr Äußeres immer wieder verändert. Die Seamaster von 1950 sieht anders aus als die von 1954. Ende der 50er Jahre hat sich die Form der Indexe verändert. Jahrelang waren sie ährenförmig, heute sind es einfache Striche«, und er zeigte mit der Pinzette, die er aus der Tasche seines Arbeitskittels gezogen hatte, auf die Anzeigen zwischen den Ziffern, schmale gleichschenklige Dreiecke.
    »Das ist ganz anders als bei den Autos. Außen kann sich eine Uhr so oft und so stark verändern, wie es dem Hersteller paßt, innen bleibt sie sich so lange treu wie die Mechanik sich bewährt. Das Beste, was wir uns denken können, ist schon erfunden, die Hülle spielt

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