Zur Leidenschaft verfuehrt
und schaute ihn erstaunt an.
„Nein, gar nichts! Im Gegenteil, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mitzuhelfen, diesem Ort seine alte Schönheit zurückzugeben. Es ist ein Traum …“ Sie wusste nicht warum, aber plötzlich hatte sie Tränen in den Augen. „Wirklich, die Menschen hier können sich glücklich schätzen, dass Ihnen dieses Projekt so sehr am Herzen liegt. Und ich … ich schätze mich ebenfalls glücklich, dabei sein zu dürfen!“
Diesmal war es Raphael, der ihrem Blick nicht standhalten konnte. Ihre Offenheit überraschte ihn. Damit hatte er nicht gerechnet und mit so einer leidenschaftlichen Reaktion erst recht nicht. Vielleicht hatte er ja doch die richtige Projektleiterin – eine Frau mit Fantasie, die sich von der Vergangenheit berühren ließ. So eine Person würde alles geben für ein Projekt, dem ihr Herz gehörte. Genauso wie auch dem Mann, dem ihr Herz gehörte?
Raphael schüttelte, ungehalten über sich selbst, den Kopf. Charlotte Warehams Liebesleben war ihre Privatsache und ging ihn nichts an. Er brauchte eine Projektleiterin, keine Bettgefährtin.
„Wenn das Ihr Ernst ist mit dem See …“, begann Charley.
„Auf jeden Fall.“
„Ich gehe freilich davon aus, dass man für diese Art Restaurierungsarbeiten den Rat von Experten einholen muss. Es wäre vielleicht am besten, wenn … nun, in England würde ich es wahrscheinlich bei English Heritage oder dem National Trust versuchen. Jede Organisation mit künstlerischem Sachverstand, die es als wichtig erachtet, dass die historische Bausubstanz und die alten Kunstschätze weitgehend erhalten bleiben, wird nicht nur bereit sein, zu helfen, sondern man wird sich förmlich die Finger danach lecken, bei einem Projekt wie diesem hier mitmachen zu dürfen. Für mich als Kunststudentin wäre das damals ein Traum gewesen.“
Sie war intelligent, auch wenn sie hin und wieder glaubte, ihn provozieren zu müssen. Entscheidend aber war ihre Begeisterung für das Projekt, die in ihre Augen ein Leuchten brachte und ihre Stimme vibrieren ließ. Wie um alles in der Welt kam eine so künstlerisch veranlagte Frau wie sie dazu, ihr Kunststudium aufzugeben und sich mit Projekten herumzuschlagen, die jeglichen Kunstsachverstand vermissen ließen? Inzwischen war Raphael neugierig geworden. Irgendetwas passte da nicht zusammen.
„Für eine Kunstliebhaberin wie Sie muss es hart gewesen sein, das Kunststudium aufzugeben“, bemerkte er möglichst beiläufig.
„Ja, das stimmt“, gab sie offen zu.
„Warum haben Sie es denn dann getan?“
Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, wie töricht es gewesen war, sich verletzlich zu zeigen. Und jetzt wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
„Sie antworten nicht? Da fragt man sich natürlich, warum. Sie haben doch nichts zu verbergen? Vielleicht war es ja gar nicht Ihr eigener Entschluss, das Kunststudium abzubrechen? Hat man es Ihnen vielleicht nahegelegt, vielleicht vonseiten Ihrer Professoren?“
„Aber nein!“, widersprach sie empört. „So war es ganz bestimmt nicht!“
„Wirklich nicht?“, fragte er gedehnt. „Wie war es denn dann? Ich finde, dass ich durchaus berechtigt bin, Ihnen diese Frage zu stellen, denn immerhin bezahle ich Sie. Also raus damit, ich erwarte eine ehrliche Antwort.“
Charley hob beschwichtigend die Hände. „Na schön, wenn Sie es unbedingt wissen müssen: Ich hatte mich damals für die Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie angemeldet, ohne meiner Familie etwas davon zu erzählen. Meine Eltern … na ja, eigentlich wollte ich schon immer Kunst studieren, aber ich war mir sicher, dass mich mein Vater auslacht … ich war in seinen Augen einfach nicht der Typ für so etwas. Meine beiden Schwestern sind so anders als ich, viel hübscher und irgendwie viel weiblicher. Ich war schon immer das hässliche Entlein der Familie, und dazu habe ich auch noch zwei linke Hände. Ich wusste, dass mein Vater versuchen würde, mich zu überreden, etwas anderes … etwas Praktisches zu studieren.“
Charley seufzte leise auf, während Raphael ihre Worte auf sich wirken ließ. Er wäre nie auf die Idee gekommen, Charley als hässliches Entlein oder tollpatschig zu bezeichnen. Sie war einfach nur nicht im landläufigen Sinn hübsch. Trotzdem hatte sie etwas. Jawohl, sie hatte definitiv etwas. Und das war auch seinem Körper nicht entgangen. Bedauerlicherweise.
„Doch nachdem ich die Aufnahmeprüfung wider Erwarten bestanden hatte, schöpfte ich neuen Mut. Ich erzählte es
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