Zur Liebe verurteilt
auszukleiden.
»Laß mich!« sagte sie mit fester Stimme, und in kurzer Zeit hatte sie Cole bis auf die lange Baumwollunterwäsche ausgezogen. Dabei merkte sie gar nicht, daß er halb ungläubig, halb amüsiert vor sich hinlächelte.
Ebensowenig nahm sie wahr, mit welch einem Gesichtsausdruck er ihr dichtes Haar betrachtete, das sie zu einem unschuldigen Dutt zusammengelegt hatte. Tagsüber saß die Frisur straff und erstaunlich fest um ihren Kopf, ohne eine einzige lose Strähne. Aber jetzt wirkte es viel weicher, und an vielen Stellen wagten sich kleine Locken hervor. Das Erstaunlichste war, daß ihr Nachthemd beinahe aufreizende Wirkung auf ihn ausübte. Er war daran gewöhnt, Frauen in schwarzer oder roter Spitze zu sehen und nicht in reinem, sauberem, jungfräulichem Weiß. Die Umrisse ihres Körpers waren nicht einmal zu erahnen. Doch gerade das machte ihn neugierig, was sich unter dem Nachthemd verbergen mochte, viel neugieriger, als hätte sie durchsichtige Seide getragen.
Als er in der Unterwäsche dastand, zog sie die Bettdecke zurück und nötigte ihn, sich hinzulegen. Als habe sie so etwas schon tausendmal getan - was ja auch zutraf - deckte sie ihn dann ordentlich zu, gab ihm einen flüchtigen Kuß auf die Stirn, wandte sich ab, blies die Kerze neben dem Bett aus und ging zur Tür.
Sie hatte die Hand schon auf dem Türknopf, als ihr bewußt wurde, wo sie sich befand und was sie gerade getan hatte. Überrascht drehte sie sich um. Cole hatte einen Arm unter den Kopf geschoben und grinste sie unverschämt an.
Unvermittelt brachen beide in ein Gelächter aus.
»Willst du mir denn keine Gutenachtgeschichte erzählen?« fragte Cole.
Dorie wurde rot. »Mein Vater ...«, begann sie, mußte wieder lachen und fuhr dann fort: »Was für eine Gutenachtgeschichte willst du denn hören? Eine über Bankräuber und Schießereien um 12 Uhr mittags?«
»Kommen meine Freunde auch darin vor?«
Das brachte sie erneut zum Lachen. »Wenn die Geschichte von Verbrechern handelt, müssen es ja deine Freunde sein, oder?«
Erst legte er die Stirn in Falten, dann lächelte er. »Du meinst wohl, wenn ich ins Gefängnis käme, würde ich dort ein Wiedersehen mit meiner Familie feiern können, was?«
»Wenn nicht in der Kirche, dann auf dem Friedhof«, erwiderte sie. Es sollte ein Scherz sein, verfehlte aber seine Wirkung, weil es der Wahrheit zu nahe kam. Weder Cole noch sie mochten daran erinnert werden, daß er ständig vom Tod bedroht war.
An ihrer Seite des Bettes brannte noch eine Lampe. Dorthin ging sie jetzt. Sie war ja nicht im Haus ihres Vaters, wie sie vorhin ein paar Sekunden lang gewähnt hatte, und dieser Mann dort war nicht ihr invalider Vater. Ohne einen Blick auf die schweren Koffer zu werfen, die er in der Bettmitte hingestellt hatte, zog sie die Decke zurück, blies die Lampe aus und schlüpfte mit dem Rücken zu ihm ins Bett. Eine Weile herrschte Stille. Dann fragte sie: »Hast du nette Eltern gehabt?«
»Nein«, antwortete er zögernd. »Und du? Mochtest du deinen Vater, diesen Haustyrann?«
»Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich glaube, ja. Ich kannte ja keinen anderen.«
»Jetzt hast du also keine anderen Angehörigen mehr als deine Schwester?«
»So ist es. Und sie lebt jenseits des Meeres auf einem anderen Kontinent.« Pause. »Und sie hat einen Mann und zwei Kinder.«
»Demnach bist du ganz allein.« Sie gab keine Antwort, und er hatte auch keine erwartet. Das laute Geräusch des fahrenden Zuges schien sie beide einzuhüllen. Cole dachte: Da liegen wir nun beide im Bett, ohne uns zu berühren, und doch ist es fast intim. Er hatte noch nie eine ganze Nacht mit einer Frau im Bett verbracht, weil er es sich zur festen Regel gemacht hatte, nach vollendetem Akt fortzugehen. Nach dem Sex waren die Sinne des Mannes eingelullt, und dann konnte er leicht einem Schurken zum Opfer fallen, der sich als großer Mann bewähren wollte, indem er Cole Hunter erschoß. Ohne Sex mit einer Frau zusammen zu sein, war eine neue Erfahrung für ihn. Er drehte sich um, beugte den Arm und stützte den Kopf in die Hand. »Bist du müde? Falls ja, dann ...«
Sie rollte sich herum und sah ihn an. Nur schwaches Mondlicht drang durch die Vorhänge, aber ihre Augen waren hell und lebhaft. »Ich bin überhaupt nicht müde. Hast du vor, dich über irgend etwas mit mir zu unterhalten?«
Das war natürlich eine lächerliche Situation. Er war kein Mann des Wortes, sondern ein Mann der Tat. Na ja, er konnte schon
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