Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)
Singles, Paaren, Älteren, Jüngeren und so weiter und so fort.
Das, was sich änderte, war ein allgemeines, übergeordnetes Phänomen: Eine Art generelles „Reset“ traf ein, alles wurde komplett neu gestartet. Die Freundschaften, die ich bis zu diesem Zeitpunkt geschlossen hatte, wurden neu überprüft. Manche Freunde distanzierten sich von mir, weil sie selber noch keine Kinder hatten oder weil sie Kinder nicht mochten. Von manchen Freunden distanzierte ich mich selbst, weil ich nicht mehr mit ihrem Rhythmus mithalten konnte – dem „Single-Rhythmus“. Ich konnte mich nicht so verhalten, als ob ich kinderlos sei, auch wenn ich es manchmal gerne getan hätte. Ich wurde zu so manchem Ausflug eingeladen, zu dem ich unmöglich mit einem Kleinkind gehen konnte – das stellte ich am Anfang aber oft erst im Nachhinein fest.
Einmal, als mein Sohn Rob noch nicht ein Jahr alt war, hatte ich zugesagt, den Tag am Fluss weit oben im Verzascatal mit Mara und ein paar anderen Freunden zu verbringen. Wir blieben den ganzen Tag über an einem Flussufer in einem engen, steilen Bergtal, wo Milliarden von kleinen und größeren Steine herumlagen, die das Flussbett und das Ufer bildeten. Eigentlich waren die Steine zauberhaft: Sie waren aus Granit und schwarzweiß meliert und gebändert oder mit zahlreichen silbernen Punkten versehen. Manche Steine enthielten auch eine gelb- oder rostfarbene Schattierung. Diese Färbungen ändern sich leicht von Tal zu Tal. Die schönsten – weiß mit nur einzelnen, regelmäßig verteilten schwarz glänzenden Punkten – sind im Maggiatal zu finden. Im Verzascatal, wo ich damals mit den Freunden war, waren die Steine ein wenig dunkler, aber auch recht schön. Sie gefielen auch meinem Sohn ausgesprochen gut: Er versuchte dauernd, sie zu schlucken oder sich damit zu ersticken.
Die Sonne schien, als ob es kein Morgen gäbe und ein Schattenplatz war weit und breit nicht auffindbar. Während die kinderlosen Freunde sich in den natürlichen Whirlpools amüsierten und im eiskalten Gletscherwasser badeten – immer in Acht, nicht von einem Strudel unter Wasser gezogen zu werden (was ja in jeder Sommer-Saison oft vorkommt) –, stresste ich mich beinahe damit zu Tode, alle zwei Sekunden dem kleinen Rob einen Stein aus der Hand zu nehmen und den kleinen Kerl wieder auf das Handtuch zu platzieren, wo er natürlich nicht bleiben wollte, weil es durch die darunterliegenden Steine einfach nicht bequem war. Ständig von mir angefasst und gehindert werden, wollte er aber auch nicht, deswegen schrie er auch andauernd wie am Spieß. Er wollte unbedingt auf den Steinen umherkriechen, womöglich wollte er sich auch im Wasser ertränken.
Ich dachte mir, ich hätte am besten ein Laufgitter mitgenommen – samt Bettmatratze, um den steinigen Boden zu bedecken. Ein Dach über dem Kopf hätten wir auch gut gebrauchen können, da bei dem Wind hier oben keiner der Sonnenschirme, die wir zwischen den herumrollenden Steinen zu befestigen versuchten, stehen blieb. „Und eine Portion Valium wäre auch nicht schlecht“, schloss ich resigniert meine gedankliche Wunsch-Liste. In dem Moment begriff ich, weshalb so viele Familien mit Kleinkindern im öffentlichen Schwimmbad von Bellinzona anzutreffen waren – weil es dort einfach fantastisch war: Große Bambus-Büsche, zwei herzige kleine und übersichtliche hellblaue Becken, die durch einen schmalen künstlichen Fluss miteinander verbunden waren, und eine tolle Rutsche – das Ganze mit lauwarmem Wasser.
Ich kniete also am Ufer dieses idyllischen Flusses: Mit einer Hand hielt ich Rob fest, mit der anderen versuchte ich, den Sonnenschirm in aufrechter Position zu halten.
„Kommst du nicht baden?“, fragte mich Mara, die fast jeden freien Tag am Fluss verbrachte.
„Kann nicht“, sagte ich. „Rob will alle diese Steine essen. Sag mal, kommen auch Eisstücke den Bach herunter?“
„Nein. Nimm ihn doch einfach mit ins Wasser.“
„Wie denn? Er ist noch so klein! In einer Sekunde ist er durchgefroren und paralysiert.“
„Ach, ist doch nicht so schlimm.“
„Ja, das kannst du leicht sagen – du wiegst ja auch ein wenig mehr und brauchst länger, um auszukühlen.“
„Das musst du für dich selbst entscheiden.“
„Eben“, dachte ich mir, „eigentlich wäre die beste Entscheidung, ins Schwimmbad zu gehen.“
Ich war damals im Verzascatal die einzige, die ein Kleinkind dabei hatte. Sogar für Hunde war dieser Ort gefährlich. Das schlimmste daran war aber,
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