Zurueck ins Glueck
Ohnmacht
die Folge des Schocks war, den sie erlitten hat. Sie ist ja nicht die Kräftigste...«
Für schwach und kränklich hatte Cameron seine Mutter nie gehalten. Ganz im Gegenteil.
»Und sie ist immerhin einundsechzig...«
»Das stimmt nicht«, unterbrach Cameron sie verstimmt. »Mum ist Mitte fünfzig. Fünfundfünfzig vielleicht, aber nicht älter.«
»In diesem Glauben möchte sie Sie wohl gern lassen.« Emily zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Aber wir haben Erfahrung darin, das wahre Alter aus reiferen Damen herauszubringen. Wenn man sie statt nach ihrem Alter nach ihrem Geburtsdatum fragt, verraten sie sich meist.« Sie tippte beim Sprechen ständig mit dem Finger gegen ihren Nasenflügel; eine Angewohnheit, die an Camerons Nerven zu zerren begann. »Aber es ist sinnlos, dass Sie sich Sorgen machen«, fuhr sie dann fort. »Warten Sie erst einmal das Ergebnis der Untersuchungen ab, ja?«
»Gibt es denn ernsthaften Grund zur Sorge?« Erst jetzt wurde Cameron klar, dass hinter dem Ohnmachtsanfall seiner Mutter tatsächlich Schlimmeres stecken konnte als nur ein Schock.
»Das lässt sich jetzt noch nicht sagen«, erwiderte Emily geduldig. »Aber wie steht es mit Ihnen? Wann haben Sie zum letzten Mal etwas gegessen?«
Cameron gab keine Antwort, sondern zuckte nur die Achseln und fuhr sich mit der Hand durch das Haar.
»Cameron!«, rief Rose plötzlich. Panik schwang in ihrer Stimme mit – nackte Verzweiflung. Cameron und Emily stürzten in ihr Zimmer. »Aber, aber, Mrs. Judge«, suchte Emily ihre Patientin zu beschwichtigen. »Regen
Sie sich bitte nicht auf, Sie brauchen jetzt absolute Ruhe.« Ihr Ton klang freundlich, aber bestimmt, und duldete keinen Widerspruch.
»Mein Sohn«, jammerte Rose. »Wo ist er? Ich möchte ihn bei mir haben!«
»Ich bin hier, Mum. Es ist alles in Ordnung. Ich gehe nirgendwohin.« Er warf Emily einen fragenden Blick zu.
»Soll ich Ihnen nicht lieber ein Schlafmittel geben, Mrs. Judge?«, fragte die Schwester prompt.
»Das ist eine gute Idee«, antwortete Cameron an Stelle seiner Mutter. Er hatte wenig Lust, die nächsten fünf Stunden an ihrem Bett zu sitzen, ihre Hand zu halten und sich ihr Geschwafel über die in den Schmutz gezogene Familienehre der Judges anzuhören.
»Beeinträchtigt das in irgendeiner Weise mein klares Denkvermögen?«, wollte Rose wissen. Sie wirkte mit einem Mal sichtlich nervös.
Eine ausgesprochen merkwürdige Frage, dachte Cameron. Er für seinen Teil hätte gar nichts dagegen, eine Weile an überhaupt nichts mehr denken zu müssen.
»Aber nein, es macht Sie nur müde«, beruhigte Emily sie und verließ das Zimmer, um das Mittel zu holen.
»Ist dir schon aufgefallen, was für eine herrliche Aussicht du hast?«, versuchte Cameron, seine Mutter ein wenig aufzumuntern. »Du kannst den gesamten Park überblicken. Wenn du dich morgen besser fühlst, machen wir einen kleinen Spaziergang. Was hältst du davon?«
»Komm her und setz dich zu mir, Cameron. Ich habe dir etwas zu sagen.«
O Gott, vielleicht ist sie doch ernsthaft krank, schoss es Cameron durch den Kopf. Kalte Furcht würgte ihn in
der Kehle. Er trat an ihr Bett, ließ sich auf der Kante nieder und griff nach Roses Hand.
»Was hast du auf dem Herzen, Mutter?«
Roses Blick ruhte eindringlich auf seinem Gesicht. Sie registrierte die tiefe Besorgnis, die sich in seinen blauen Augen widerspiegelte. Cameron war ihr Lieblingskind, war es immer gewesen. Er hatte ihre wache Intelligenz und den Charme seines Vaters geerbt. »Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?«, fragte sie übergangslos.
Cameron runzelte die Stirn. »Mum, lass die Gefühlsduselei und sag mir klipp und klar, was los ist. Geht es dir nicht gut? Ist es etwas Ernstes?«
Rose musterte ihn erneut forschend, dann sah er sie fast unmerklich nicken, als habe sie tief in ihrem Herzen eine Entscheidung getroffen.
»Ich kann dich beruhigen, soweit ist nämlich alles in Ordnung – abgesehen natürlich von dem peinlichen Zwischenfall heute in der Kirche. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie die Presse das aufbauschen wird. Nein, davon rede ich gar nicht, und nein, ich bin auch nicht krank, also hör auf, dir deswegen Gedanken zu machen.« Sie lächelte ihm liebevoll zu.
Cameron fiel ein Stein vom Herzen. Seine Mutter war der wichtigste Mensch in seinem Leben; er betete sie geradezu an. Ihm fiel auch auf, dass ihre Stimme jetzt fester und bestimmter klang. Sie war wieder die alte Rose – völlig Herrin der
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