Zurueck ins Glueck
kannte. Von Fiddler’s Point her kommend, wandte sich die Straße vom Wasser ab, und genau dort hatte Camerons Urgroßvater James Judge der Erste eine zweihundert Acre umfassende Parzelle Land erworben und darauf ein Haus erbaut, das eines Königs würdig gewesen wäre. Die Geschichte von Dunross wurde von einer Generation von Judges zur nächsten weitergegeben. James der Erste wollte sich an dem herrlichen Meerblick erfreuen, den die Ostseite von Fiddler’s Point bot, wollte aber auch nicht auf die farbenprächtigen Sonnenuntergänge über dem See verzichten. Er hatte nach einer Stelle gesucht, von der aus man sowohl das Meer der Ostküste Irlands als auch den riesigen See im Westen sehen konnte. Camerons Urgroßvater hatte sich überlegt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wenn er hier sein neues Heim errichtete. Früh am Morgen konnte er den Sonnenaufgang bewundern und abends verfolgen, wie die Sonne
hinter dem See im Westen versank. Mit seinen Überlegungen lag er goldrichtig.
Cameron hing mit jeder Faser seines Herzens an Dunross. Die gewundene Privatauffahrt war fast eine Meile lang und im Frühjahr eine wahre Augenweide, denn dann standen die üppigen Rhododendronbüsche, die sie säumten, in voller Blüte. Aus der Entfernung sah es so aus, als führte die Auffahrt direkt zum Meer hinunter, tatsächlich gabelte sie sich aber vorher. Den Ausblick von dieser Gabelung aus liebte Cameron besonders. Im Norden, Süden und Osten erstreckte sich die blaue, von weißen Gischtkämmen gekrönte Irische See, die nur selten so ruhig war, dass sich die Wolken darin spiegelten. Doch wenn dies geschah, verschlug der majestätische Anblick dem Betrachter den Atem. James Judge der Erste hatte hier ein Paradies geschaffen.
Die linke Abzweigung der Auffahrt führte zu dem Bauernhof und den Ställen. Dort befand sich auch Carolines Atelier und Liebesnest. Über die rechte gelangte man wieder nach Dunross Hall. James Judge hatte keine Kosten gescheut, als er 1910 mit dem Bau begann, und über fünfzehntausend Pfund in das Gebäude investiert – mehr, als in Irland je für ein Haus aufgewendet worden war, wenn man der stolzen Judge-Saga Glauben schenken durfte. Vier sieben Meter hohe, massive weiße Säulen flankierten die beiden schweren Türflügel aus irischer Eiche. Das Haus war strahlend weiß gestrichen und wirkte vollkommen symmetrisch. Im ersten und zweiten Stock waren links und rechts von der Tür jeweils vier große Fenster eingelassen; über dem Vordereingang verlief ein Balkon, der dazu einlud, die atemberaubende Aussicht zu genießen.
Cameron hatte sich am frühen Nachmittag von seiner Familie abgesetzt und war ohne ein bestimmtes Ziel über das Gelände geschlendert. Endlich gelangte er zu den Ställen, wo die Pferde sich sichtlich über seinen Besuch freuten. Das Wetter war noch nicht umgeschlagen, aber er wusste, dass die Tiere die herannahende Jagdsaison schon spüren konnten. Sie wieherten und scharrten ungeduldig mit den Hufen. Cameron wusste, wo Joey, der Stallknecht, seinen Zuckervorrat aufbewahrte, und gab jedem Pferd einen Würfel. Er war schon seit Jahren nicht mehr auf der Jagd gewesen – warum eigentlich, fragte er sich, dann verließ er den Stall und setzte seinen Weg fort.
Kurz darauf traf er Sean, der die Felder von Dunross bestellte und als Gutsverwalter fungierte.
»Keine Ruhe für die Bösen«, erklärte er dem jungen Master Judge, dabei legte er zwei Finger grüßend an seinen Hut.
»Wie wahr.« Cameron lächelte schwach. Er war froh, dass Sean sich mit ihm nicht über das Wetter oder die zu erwartende Ernte unterhalten wollte. Auf dem größten Teil der Felder wurde Gerste für Judges Whiskey angebaut. Der Ertrag deckte nur einen kleinen Teil der Menge, die für die Brennerei tatsächlich benötigt wurde, aber Eigenproduktion kam beim Verbraucher immer gut an. Cameron wechselte ein paar Worte mit Sean. Als er sich verabschiedete, kam einer der Hofhunde hechelnd auf ihn zugesprungen.
»Du bist die einzige Gesellschaft, die ich heute ertragen kann«, seufzte Cameron, ehe er dem großen Schäferhund über den Kopf strich.
Zusammen mit seinem neuen Begleiter spazierte er an
den alten Landarbeiterhäusern vorbei. In einem davon wohnte Sean, in einem anderen Mrs. Bumble, Caroline und Marcus hatten ein weiteres mit Beschlag belegt, und zwei wurden für Gäste bereitgehalten. Er hatte angenommen, Stephanie und ihre zwei Gören nebst Nanny würden eines davon beziehen, aber nein, seine
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