Zusammen ist man weniger allein
eher.«
»Und?«
»Nichts und.«
»Wirst du mich auch mal malen?«
»Ja.«
Stille.
»Ja, wenn Sie es mir erlauben. Ich würde Sie gern so lange malen, bis ich Sie auswendig kenne. Bis Sie meine Anwesenheit nicht mehr spüren.«
»Ich werde es dir schon erlauben, aber, wirklich, ich … Du bist nicht einmal meine Tochter, nichts in der Art, und ich … Ach, mich macht das verlegen.«
Camille hatte sich schließlich ausgezogen und kniete vor ihr auf dem gräulichen Email:
»Waschen Sie mich.«
»Pardon?«
»Nehmen Sie die Seife, den Waschlappen und waschen Sie mich, Paulette.«
Diese kam der Aufforderung nach und führte, auf ihrem Unterwasser-Betschemel schlotternd, den Arm zum Rücken der jungen Frau:
»Nur zu! Fester!«
»Mein Gott, bist du jung. Wenn ich daran denke, daß ich auch mal so war. Ich war natürlich nicht so zierlich, aber …«
»Sie meinen dürr?« unterbrach sie Camille und hielt sich an den Armaturen fest.
»Nein, nein, ich meinte wirklich ›zierlich‹. Ich weiß noch, als Franck mir das erste Mal von dir erzählte, hatte er nur dieses eine Wort: ›Ach Omi, sie ist so dürr. Wenn du wüßtest, wie dürr sie ist‹, aber wenn ich dich jetzt sehe, wie du hier sitzt, bin ich gar nicht seiner Ansicht. Du bist nicht dürr, du bist grazil. Du erinnerst mich an diese junge Frau in dem Buch von dem Großen Meaulnes . Weißt du? Wie hieß sie noch mal? Hilf mir.«
»Das hab ich nicht gelesen.«
»Sie hatte auch einen adligen Namen. Ach, wie ärgerlich.«
»Wir könnten in die Bibliothek gehen und nachschauen. Weiter jetzt! Tiefer noch! Und wieso nicht? Sekunde, ich dreh mich um. So. Sehen Sie? Wir sitzen im selben Boot, meine Liebe! Warum sehen Sie mich so an?«
»Ich … Diese Narbe hier.«
»Ach so. Das ist nichts.«
»Nein … Das ist nicht nichts. Was ist da passiert?«
»Nichts, sag ich doch.«
Und von diesem Tag an war zwischen ihnen nie mehr von Haut die Rede.
Camille half ihr auf die Klobrille, dann unter die Dusche, seifte sie ein und redete von etwas anderem. Das Haarewaschen erwies sich als heikler. Jedesmal, wenn sie die Augen schloß, verlor die alte Frau das Gleichgewicht und kippte nach hinten über. Nach mehreren katastrophalen Versuchen entschieden sie sich für einen regelmäßigen Friseurbesuch. Nicht in ihrem Viertel, wo die Friseure unerschwinglich waren (»Wer soll das sein, Myriam?« hatte ihr dieser Blödmann von Franck geantwortet, »ich kenne keine Myriam«), sondern an der Endhaltestelle einer Buslinie. Camille studierte ihren Plan, folgte der Busroute mit dem Finger, suchte nach etwas Exotischem, zerpflückte die gelben Seiten, bat um Kostenvoranschläge für eine wöchentliche Wasserwelle und entschied sich für einen kleinen Salon in der Rue des Pyrénées, letzte Zone der Linie 69.
In Wahrheit rechtfertigte die Preisdifferenz keine derartige Expedition, aber es war ein schöner Ausflug.
Und jeden Freitag, am frühen Morgen, wenn die Stadt erwachte, setzte sie Paulette ganz zerknautscht ans Busfenster und hielt Paris by day fest, indem sie im Vorbeifahren – in ihr Heft und je nach Stau – ein Pudelpaar mit Burberry-Mantel auf dem Pont Royal einfing, das Hackfleischmuster der Mauern des Louvre, die Käfige und die Buchsbäume des Quai de la Mégisserie, den Sockel des Genies der Bastille oder den oberen Teil der Familiengrüfte auf dem Friedhof Père-Lachaise, anschließend las sie von schwangeren Prinzessinnen und verlassenen Sängern, während ihre Freundin unter der Trockenhaube strahlte. Sie aßen in einer Kneipe an der Place Gambetta. Nicht im Gambetta , das für ihren Geschmack zu hip war, sondern in der Bar du Métro , die nach kaltem Rauch, nach gescheiterten Millionären und gereizter Bedienung roch.
Paulette, die sich ihres Katechismus erinnerte, nahm jedesmal eine gebackene Forelle mit Mandeln, und Camille, die keine moralischen Bedenken kannte, biß in einen Croque-Monsieur und schloß dabei die Augen. Sie bestellten einen Krug Wein, na klar, und stießen von Herzen damit an. Auf uns! Auf dem Nachhauseweg setzte sie sich ihr gegenüber und malte exakt dieselben Dinge, nur mit dem Blick auf eine kleine schmucke, übermäßig herausgeputzte Dame, die sich nicht gegen die Scheibe zu lehnen wagte, aus Angst, ihre blaßlila Löckchen plattzudrücken. (Johanna, die Friseuse, hatte sie davon überzeugt, eine andere Farbe zu nehmen: »Dann sind Sie also einverstanden? Ich nehme für Sie eine aschblonde Opaline, ja? Sehen
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