Zusammen ist man weniger allein
helfen.«
Sie setzte Mandelblättchen zusammen, dünn wie Zigarettenpapier, auf tausenderlei Art gehärtet, geriffelt, gespickt, spielte mit Schokoladenraspeln, Orangenschalen, kandierten Früchten, Arabesken aus Fruchtsoße und glacierten Maronen. Der Konditorgehilfe sah ihr tatenlos zu. Er wiederholte immer wieder: »Sie sind ja eine Künstlerin! Eine wahre Künstlerin!« Der Chef sah diese Extravaganzen mit anderen Augen: »Okay, für heute abend mag es durchgehen, aber Ästhetik ist nicht alles. Wir kochen schließlich nicht nur, damit es schön aussieht!«
Camille lächelte und verzierte die englische Creme mit roter Fruchtsoße.
Leider nein. Ästhetik war nicht alles! Das wußte sie nur zu gut.
Gegen zwei legte sich der Sturm. Der Chef gab seine Champagnerflasche nicht mehr aus der Hand, und ein paar Köche hatten ihre Mützen abgenommen. Sie waren allesamt erschöpft, gaben aber ein letztes Mal alles, um ihren Platz zu säubern und so schnell wie möglich zu verschwinden. Kilometer an Frischhaltefolie gingen drauf, um alles einzupacken, und vor den Kühlräumen herrschte dichtes Gedränge. Viele kommentierten den Einsatz und analysierten ihren Auftritt: Was sie vermasselt hatten und warum, wessen Schuld es gewesen war, und wie gut die Sachen gelungen waren. Wie Sportler, die noch dampften, konnten sie nicht abschalten und beackerten mit aller Kraft ihren Platz, um ihn auf Hochglanz zu polieren. Sie hatte den Eindruck, daß sie damit Dampf abließen, um nicht ganz dabei draufzugehen.
Camille half ihnen bis zum Schluß. Sie kauerte vor einem Kühlschrank und wischte ihn von innen aus.
Dann lehnte sie sich an die Wand und beobachtete das Gedränge der Jungs um die Kaffeemaschinen. Einer schob einen riesigen Wagen mit göttlichen Leckereien herein, Pralinen, Schaumzucker, Konfitüren, Mini-Cannelés, Madeirasoße und so weiter. Hmm, sie hatte Lust auf eine Zigarette.
»Du kommst zu spät zu deinem Fest.«
Sie drehte sich um und sah einen alten Mann.
Franck bemühte sich, die Fassung zu bewahren, aber er war am Ende, verschwitzt, gekrümmt, aschfahl, er hatte rote Augen und sah mitgenommen aus.
»Du siehst um zehn Jahre gealtert aus.«
»Schon möglich. Ich bin todmüde. Hab schlecht geschlafen, und außerdem mag ich diese Festessen nicht. Immer dieselbe Leier. Soll ich dich in Bobigny absetzen? Ich hab noch einen zweiten Helm. Ich muß nur noch meine Bestellungen abgeben, dann können wir los.«
»Nein, mir ist überhaupt nicht mehr danach. Die sind bestimmt alle sternhagelvoll, bis ich ankomme. Das Schöne ist doch, sich gemeinsam mit den anderen zu betrinken, sonst ist es nur deprimierend.«
»Nein, ich will auch lieber nach Hause, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.«
Sébastien unterbrach sie:
»Wir warten noch auf Marco und Kermadec und treffen uns unten?«
»Nee, ich bin kaputt. Ich geh nach Hause.«
»Und du, Camille?«
»Sie ist auch kap…«
»Überhaupt nicht«, fiel sie ihm ins Wort, »das heißt, doch, aber ich habe trotzdem Lust zu feiern!«
»Bist du sicher?« fragte Franck.
»Na klar, wir müssen doch das neue Jahr begrüßen. Auf daß es besser wird als das alte, oder?«
»Ich dachte, du hättest keinen Bock auf Fete.«
»Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Das hier ist mein erster guter Vorsatz fürs neue Jahr: ›2003 war alles einerlei, 2004 gönn ich mir ein Plaisir!‹«
»Wohin gehn wir?« fragte Franck seufzend.
»Zu Ketty.«
»Ach nee, nicht dahin. Du weißt doch.«
»Okay, dann halt zu La Vigie.«
»Da auch nicht.«
»He ho, Lestafier, du nervst. Nur weil du alle Bedienungen im Umkreis abgeschleppt hast, können wir nirgendwo mehr hin! Welche war’s denn bei Ketty? Die Dicke, die gelispelt hat?«
»Die hat nicht gelispelt!« gab Franck entrüstet zurück.
»Nee, besoffen hat sie ganz normal geredet, aber nüchtern hat sie gelispelt, sag ich dir. Okay, aber egal, die arbeitet nicht mehr da.«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
»Und die Rothaarige?«
»Die auch nicht. He, aber das kann dir doch egal sein, du bist doch jetzt mit ihr zusammen, oder?«
»Nix da, er ist doch nicht mit mir zusammen!« Camille war empört.
»Gut … eh … Macht ihr das unter euch aus, wir sind jedenfalls da, sobald wir hier fertig sind.«
»Willst du noch mitkommen?«
»Ja. Aber ich würd gern vorher duschen.«
»Okay. Ich wart auf dich. Ich geh jetzt nicht in die Wohnung, sonst brech ich
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