Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
nicht mehr wahrgenommen, weil die Vorgesetzten verschwunden und in ein anderes Unternehmen oder einen anderen Unternehmensteil gegangen waren, wenn Beschäftigte der mittleren Ebenen beurteilt werden sollten. »Meine Arbeit wurde schwieriger«, sagte mir ein Personalleiter, »weil ich über so gut wie keine persönlichen Informationen verfügte«, wenn es am Jahresende um die Festsetzung der Bonuszahlungen an Mitglieder der mittleren Ebene ging. Wegen des häufigen und raschen Wechsels der Manager fehlten ihm entsprechende Informationen.
Personalabteilungen beurteilen die Leistungen von Angestellten des mittleren Bereichs manchmal nach der Geschwindigkeit des Personalwechsels an der Spitze. Ein Personalleiter in einer Hightechfirma meinte: »In dieser Branche verändert sich alles rasend schnell. Wenn ich sehe, dass jemand schon fünf oder sechs Jahre auf demselben Arbeitsplatz ist, stelle ich Fragen.« Das heißt, in der langen Boomphase der Finanzbranche ist Stabilität dort zu einem Stigma geworden.
An die Stelle persönlicher Beurteilungen sind standardisierte Beurteilungsbögen zum Ankreuzen getreten, die keine so schwer zu greifenden Merkmale erfassen wie die Bereitschaft, Überstunden zu machen, das Ausgleichen mangelnder Fähigkeiten von Kollegen oder, tiefer noch, den Glauben an die eigene Firma. Ein recht außergewöhnlicher Mann, den ich befragte, hatte sich als Fabrikarbeiter durch Abendkurse weitergebildet, die Gründung einer Familie zurückgestellt und als Buchhalter in einer inzwischen in Konkurs gegangenen Investmentbank gearbeitet. Er beschrieb den Unterschied zwischen der Personalbeurteilung bei Arbeitern und Angestellten folgendermaßen: »In der Glashütte waren Beurteilungsbögen ganz normal. Ich hatte gedacht, in der Bank wäre das anders und die Beurteilung wäre persönlicher, aber es zeigte sich, dass da kaum ein Unterschied bestand.«
Die Flut der Fusionen und Übernahmen, die den Finanzkapitalismus in den letzten Jahren stimulierte, hat den unpersönlichen Charakter der Personalbeurteilung noch verstärkt. In der Führungsetage erscheinen ständig neue Gesichter auf der Bildfläche, die die bereits dort Arbeitenden nicht kennen und auch mit dem Geschäftsfeld des Unternehmens nicht vertraut sind. Diese neuen Chefs können bei der Beurteilung der von ihnen eingekauften Beschäftigten allenfalls auf Zahlen zurückgreifen. Sie wissen nicht aus eigener Erfahrung, wer gute Arbeit leistet. »Es ist komisch, dass mir das passieren konnte«, sagte mir ein Bankangestellter. Sein Teil des Unternehmens war froh, dass eine andere Investmentbank ihn aufkaufte, als das Unternehmen 2008 in Konkurs ging, doch »es war, als wären wir für sie unbeschriebene Blätter«.
All diese Aspekte kurzfristiger Zeitorientierung fließen in den informellen sozialen Beziehungen zwischen den Beschäftigten in Finanzinstituten zusammen. Die Projektarbeit in chamäleonartigen Institutionen wirkt wie eine Säure, die Autorität, Vertrauen und Kooperation auflöst.
***** Ich bitte die Leser um Nachsicht. Ich zitiere hier aus Forschungen an der heutigen Wall Street, bevor ich später in diesem Kapitel dann erläutere, wie ich diese Daten gesammelt habe.
Das Dreieck zerfällt
Für das Leben von Bankangestellten begann ich mich Mitte der 1990er Jahre zu interessieren, als ich eine andere Kategorie technischer Arbeit untersuchte, nämlich die von Programmierern in New York und in Silicon Valley. Damals war das Programmieren in einem gewaltigen und nicht vorhersagbaren Wachstum begriffen, und die Möglichkeiten des Einsatzes der bestehenden Programme waren ebenso wenig erkennbar wie die der Navigationsinstrumente auf Holbeins Gemälde. Damals wurde mir langsam klar, dass hinter diesem Kreativitätsschub ein weiterer Schub stand. Venture-Kapitalisten besuchten die schlecht belüfteten kleinen Büros, in denen die Programmierer zwischen überall herumliegenden Pizzakartons arbeiteten. Die gut gekleideten Kapitalgeber hofften, in diesen stinkenden Buden die nächste »Große Sache« zu entdecken. Die Besucher standen ihrerseits mit Investmentbanken an der Wall Street in Verbindung, die weiteres Kapital bereitstellen sollten, falls die »Venture-Geier«, wie man sie nannte, kleine Startup-Firmen in Unternehmen verwandelten, die Anteile an solche Investoren verkauften, welche unter einer modernen Abart der »Tulpenmanie« litten, der »Dotcom-Blase«.
Als ich 1997 aus Silicon Valley nach New York zurückkehrte, versuchte
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