Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
machten und Angst hatten, das ganze Gebäude ihres Erwachsenenlebens könnte plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen.
Die zweite unerledigte Frage betrifft die Überzeugungen. Auf unserem Treffen erklärten einige Teilnehmer, sie hätten überlebt, weil sie sich von starken Überzeugungen leiten ließen – alle waren eifrige Kirchgänger, und alle glaubten an die Werte der Familie. Obwohl die afroamerikanischen Erwachsenen die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre erlebt und davon profitiert hatten, spielten diese politischen Fortschritte in ihrem Denken keine besondere Rolle, soweit es ihr persönliches Überleben betraf. Wenn sich eine Tür öffnet, geht man nicht automatisch hindurch. Als wir jedoch auf die Ängste zu sprechen kamen, die unsere eigenen Kinder als Heranwachsende zu meistern haben, verwiesen bei diesem immerwährenden Problem nur wenige auf die Bibel. Ähnlich ist es bei der Arbeit. Statt zu moralisieren, denken die Menschen über konkretes Verhalten eher flexibel und anpassungsfähig. In ihrem Job arbeiteten viele dieser damals noch jungen Afroamerikaner zum ersten Mal mit Weißen zusammen und mussten lernen, damit emotional umzugehen. Selbst zwanzig Jahre später hatte sich daran nur wenig verändert, als etwa mein Nachbar aus Kindertagen in der Kfz-Zulassungsstelle von Chicago Vorgesetzter einer hauptsächlich aus Weißen bestehenden Gruppe von Untergebenen wurde.
Und schließlich war da das Problem der Kooperation. In der Kindheit beherrschte die » Fuck-you « -Form von Kooperation unser Leben, da alle Gangs im Viertel sich daran orientierten, und die Gangs waren mächtig. In der unmittelbaren Nachkriegszeit befassten die Gangs sich hauptsächlich mit Diebstählen und nicht mit Drogen wie eine Generation später. Man schickte kleine Kinder vor und ließ sie Ladendiebstähle begehen, denn wenn sie erwischt wurden, konnten sie nicht ins Gefängnis gesteckt werden. Wenn Kinder nicht in das Gangleben verstrickt werden wollten, mussten sie andere Wege finden, sich mit Ihresgleichen zusammenzutun, Wege, auf denen sie gleichsam unter dem Radar der Gangs bleiben konnten. So hingen sie denn an Bushaltestellen und anderen Orten herum, die nicht zum Herrschaftsbereich der Gangs gehörten, sie blieben lange in der Schule oder gingen direkt ins Nachbarschaftsheim. Die Zufluchtsstätte war ein Ort, an dem man über die Eltern reden, gemeinsam Hausaufgaben machen oder Schach spielen konnte – all das Unterbrechungen der » Fuck-you « -Aggression. Im Rückblick erscheinen diese Unterbrechungen als äußerst bedeutsam, denn die Erfahrung bereitete den Boden für jenes eher offene als abwehrende Verhalten, das es den Menschen ermöglichte, ihren Weg außerhalb des eigenen Viertels zu finden.
Nun wollten einige von denen, die überlebt hatten, weil sie weggegangen waren, »etwas zurückgeben«, wie ein Nachbar aus Kindertagen es ausdrückte, der heute als Meister in der Abteilung für Abwasser- und Abfallentsorgung der Stadt arbeitet. Aber die jungen Menschen, an die sich das Projekt eine Generation später wandte, waren gegen Leute, die sich als Helfer oder »Rollenvorbilder« anboten. Die Botschaft »Wenn ich es kann, dann kannst du es auch« lässt sich nämlich stets auch umdrehen: »Wenn ich es geschafft habe, warum gelingt dir das nicht? Was ist los mit dir?« So wurde das Angebot, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, indem man sich als Rollenvorbild zur Verfügung stellte und half, gerade von jenen jungen Leuten abgelehnt, die am dringendsten der Hilfe bedurften.
Alle drei Fragen – die Fragilität der Moral, Überzeugung und Kooperation – waren mir vertraut, aber für mich als weißen Jungen hatten sie eine andere Bedeutung. Meine Mutter und ich zogen in die Siedlung, als mein Vater uns in meiner Kindheit mittellos zurückließ, doch wir wohnten dort nur etwa sieben Jahre. Sobald wir es uns leisten konnten, zogen wir wieder weg. Das Viertel barg zwar Gefahren für mich, aber es waren keine tödlichen Gefahren. Vielleicht weckte diese Distanz bei dem Treffen in mir den Wunsch, herauszufinden, wie sich die drei unerledigten Aufgaben meiner Freunde aus Kindertagen in einen größeren Kontext stellen lassen.
Die Suche nach Gemeinschaft
Als Wohnprojekte wie Cabrini Green während der 1950er Jahre im Elend versanken, schrieb der konservative Soziologe Robert Nisbet (1913–1996) ein Buch mit dem Titel The Quest for Community , das 1953 erschien und in der Folge für eine Gruppe
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