Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
Getöse. Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin erblaßte.
In diesem Augenblicke stürzte Comminges in den Saal und sprach bei seinem Eintritt zu der Königin:
»Um Vergebung, Madame, allein das Volk hat die Schildwachen am Gitter niedergemacht und schlägt eben die Tore ein. Was ist Ihr Befehl?«
»Hören Sie, Madame?« sagte Gondy. Das Brausen der Wogen, das Rollen des Donners, das Geräusch eines tosenden Vulkans lassen sich nicht vergleichen mit dem Sturmgeheul, das in diesem Augenblicke zum Himmel erschallte.
»Was ich befehle?« fragte die Königin.
»Ja, die Zeit drängt.«
»Wieviel Mann liegen ungefähr im Palais-Royal?«
»Sechshundert Mann.«
»Stellet hundert Mann um den König und verjagt mit dem Reste den Pöbel.«
»Madame,« rief Mazarin, »was tun Sie?«
»Geht!« sprach die Königin, Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam eines Soldaten. In diesem Moment vernahm man ein furchtbares Krachen; eines der Tore fing an, nachzugeben.
»Madame,« stammelte Mazarin, »Sie stürzen uns alle ins Verderben, den König, Sie und mich!« Auf diesen Schrei, welcher dem Kardinal aus der Seele drang, bekam auch die Königin Furcht; sie rief Comminges zurück. «Es ist zu spät,« ächzte Mazarin, sich die Haare ausraufend, »es ist zu spät!« Die Türe gab nach und man Hörte das Freudengeschrei des Pöbels. D'Artagnan griff nach dem Schwerte und winkte Porthos, das gleiche zu tun. »Rettet die Königin!« rief Mazarin, zum Koadjutor gewendet. Gondy eilte ans Fenster, machte es auf und bemerkte Louvieres an der Spitze von zwei- bis dreitausend Menschen. »Keinen Schritt mehr weiter!« rief er, »die Königin unterschreibt.«
»Was sagt Ihr?« sprach die Königin. »Die Wahrheit, Madame,« entgegnete Mazarin, und reichte ihr Feder und Papier – »es muß geschehen! Unterzeichnen Sie, ich bitte – ich will es.«
Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm eine Feder und unterschrieb. – Das Volk hatte, von Louvieres zurückgehalten, wohl keinen Schritt weiter getan, doch wollte das furchtbare Murren nicht enden, womit die Menge ihren Grimm ausdrückt. Die Königin schrieb: »Der Gefängniswächter von Saint-Germain hat den Ratsherrn Broussel in Freiheit zu setzen.« – Und sie unterzeichnete. Der Koadjutor, der die geringste Bewegung mit den Augen verschlang, ergriff das Papier, sobald es unterfertigt war, kehrte damit zum Fenster zurück, schwenkte es in der Hand und rief: »Da ist der Befehl!« Ganz Paris schien ein Jubelgeschrei zu erheben; dann ertönten die Ausrufungen: »Es lebe Broussel! – Es lebe der Koadjutor!«
»Es lebe die Königin!« rief der Koadjutor. Man antwortete zwar seinem Rufe, allein schwach und nur einzeln. Vielleicht machte er ihn auch nur, um die Königin ihre Schwäche fühlen zu lassen. »Und nun Ihr das habt, was Ihr wollet,« sprach sie, »so geht, Herr Gondy.«
»Wenn die Königin mich brauchen wird,« versetzte der Koadjutor, »so weiß es Ihre Majestät, daß ich zu Befehl stehe.« Die Königin nickte mit dem Kopfe und Gondy ging hinweg. »Ha, verwünschter Mann!« rief die Königin und streckte ihre Hand nach der kaum zugeschlossenen Türe aus, »ich will dir eines Tages den Rest der Galle, die du mir heute eingeschenkt hast, zu trinken geben.« Mazarin wollte sich ihr nähern. »Laßt mich,« sprach sie, »Ihr seid kein Mann –« und sie entfernte sich. »Und Sie – kein Weib,« murmelte Mazarin.
Nachdem er dann ein Weilchen nachgedacht hatte, erinnerte er sich, daß d'Artagnan und Porthos hier seien, und folglich alles gesehen und gehört haben müssen. Er faltete die Stirn und ging geradeswegs auf den Türvorhang zu und hob ihn auf, allein das Kabinett war leer. Bei den letzten Worten der Königin hatte d'Artagnan Porthos an der Hand gefaßt und ihn nach der Galerie gezogen. Mazarin ging nun gleichfalls nach der Galerie und traf dort die zwei Freunde, wie sie eben auf und nieder schritten. »Weshalb seid Ihr vom Kabinett weggegangen, d'Artagnan?« fragte Mazarin. »Weil die Königin befohlen hat, daß sich jedermann zu entfernen habe,« entgegnete d'Artagnan, »weil ich dachte, daß dieser Befehl uns ebenso gut angehe als andere.«
»Ihr seid also hier seit– –?«
»Etwa seit einer Viertelstunde,« erwiderte d'Artagnan und gab Porthos mit den Augen einen Wink, daß er ihn nicht Lügen strafe. Mazarin sah aber diesen Wink und war überzeugt, daß d'Artagnan alles gesehen und gehört habe, doch wußte er ihm Dank für die
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