Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
gelangen wir mit dem Könige nach London, wo wir gar nicht aufzufinden sind; mitten unter einer Million Menschen ist es leicht, sich zu verstecken, ohne die Wechselfälle der Reise zu rechnen,« fuhr Athos fort und warf einen Blick auf Aramis. »Ja,« sprach Aramis, »ich verstehe.«
»Ich,« sagte Porthos, »ich verstehe nichts, doch meinetwegen, da es d'Artagnans und Athos' Meinung ist, so muß es wohl am besten sein.«
»Aber,« rief Aramis, »werden Wir nicht dem Oberst Harrison verdächtig erscheinen?«
»Ha, bei Gott!« rief d'Artagnan, »auf ihn rechne ich eben; der Oberst Harrison ist einer von unseren Freunden; wir haben ihn zweimal bei dem General Cromwell gesehen; er weiß es, daß uns Mazarin an ihn geschickt hat, und wird uns als Brüder betrachten. Ist er überdies nicht ein Fleischerssohn? Ja, nicht so? Also Porthos wird ihm zeigen, wie man einen Ochsen mit einem Faustschlag zu Boden schmettert, und ich, wie man einen Stier niederwirft, indem man ihn bei den Hörnern packt; damit wird man sein Vertrauen gewinnen.« Athos lächelte und sagte: »D'Artagnan, Ihr seid der beste Geselle, den ich kenne; da nehmt meine Hand, mein Sohn, ich schätze mich glücklich, daß ich Euch wiederfand.« In diesem Momente trat Grimaud aus dem Zimmer. Der Verwundete war verbunden, und fühlte sich besser. Die vier Freunde beurlaubten sich von ihm, und fragten, ob er ihnen nicht irgendeinen Auftrag an seinen Bruder geben wolle. »Meldet ihm,« sprach der wackere Mann, »er möge dem König sagen, daß sie mich nicht gänzlich umgebracht haben. Wie gering ich auch sei, so bin ich doch überzeugt, daß mich Seine Majestät bedauert, und sich meinen Tod zum Vorwurfe macht.«
»Seid ruhig,« sagte d'Artagnan, »er soll es noch vor heute abend wissen.« Die kleine Schar begab sich wieder auf den Weg, wo man sich nicht irren konnte, denn der, welchen sie über die ebene einschlagen wollten, trug sichtliche Spuren. Nachdem sie zwei Stunden lang schweigend dahingeritten waren, hielt d'Artagnan, der voraus war, bei einer Wegeskrümmung an. »Ach,« rief er, »da sind unsere Leute!« Wirklich zeigte sich etwa eine halbe Stunde entfernt eine beträchtliche Reiterschar seinen Blicken. »Liebe Freunde,« sprach d'Artagnan, »übergebt Eure Schwerter Herrn Mouston, der sie Euch zu gelegener Zeit zurückstellen wird, und vergeßt nicht, daß Ihr unsere Gefangenen seid.« Dann setzte man die Pferde, die schon etwas müde waren, in Trab, und erreichte alsbald die Bedeckung. Der König an der Spitze und umgeben von einer Abteilung des Regimentes des Obersten Harrison ritt ruhig und stets würdig mit einer Art Gutmütigkeit dahin. Als er Athos und Aramis sah, von denen er, weil man ihm keine Zeit ließ, nicht einmal Abschied genommen, und es in den Blicken der zwei Kavaliere las, daß er einige Schritte weit von sich noch Freunde habe, so flog eine Röte der Freude an die blassen Wangen des Königs, wiewohl er seine Freunde für Gefangene hielt. D'Artagnan erreichte die Spitze des Zuges, und während er seine Freunde unter Porthos' Obhut ließ, ritt er geradeswegs auf Harrison zu, der ihn wirklich als denjenigen erkannte, welchen er bei Cromwell gesehen, und der ihn ebenso artig empfing, wie ein Mann von diesem Stande und diesem Charakter jemanden empfangen konnte. Was d'Artagnan voraussah, das traf ein: der Oberst hatte keinen Verdacht. Man hielt an; hier sollte der König zu Mittag speisen. Doch traf man diesmal Vorsichtsmaßregeln, damit er nicht zu entfliehen versuche. In dem großen Zimmer wurde für ihn ein kleiner Tisch und für die Offiziere ein großer Tisch gedeckt. »Speiset Ihr mit mir?« fragte Harrison d'Artagnan. »Teufel, das wäre mir ein großes Vergnügen,« entgegnete d'Artagnan, »allein ich habe meinen Freund, Herrn du Vallon, und meine zwei Gefangenen, die ich nicht verlassen kann, und die Eure Tafel überfüllen würden. Doch machen wir es besser, laßt mir einen Tisch in einem Winkel decken, und schickt mir nach Belieben von Eurer Tafel, denn wir sind widrigenfalls vom Hungertod gefährdet. Solcher Art werden wir, da wir in demselben Zimmer sind, immerhin mitsammen speisen.«
»Es sei,« antwortete Harrison. Die Sache wurde angeordnet, wie es d'Artagnan wünschte, und als er wieder zu dem Obersten zurückkehrte, traf er den König schon an seinem kleinen Tische und von Parry bedient, Harrison und seine Offiziere gemeinschaftlich um einen Tisch sitzend, und in einem Winkel die Plätze, die für ihn und seine
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