Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
Jahre lang, und eine Angewöhnung seit zwölf bis fünfzehn Jahren ist zur zweiten Natur geworden.
Grimaud tritt seinen Dienst an
Grimaud hatte sich also mit seinem vorteilhaften Äußern im Schloßturme von Vincennes gemeldet. Herr von Chavigny bildete sich ein, daß er einen untrüglichen Blick besitze; er prüfte somit den Bewerber aufmerksam und folgerte, daß die sich berührenden Augenbrauen, die feinen Lippen, die gekrümmte Nase und die hervorragenden Backenknochen Grimauds vollgültige Anzeichen wären. Er richtete an ihn nur zwölf Worte, worauf Grimaud bloß vier zur Antwort gab. »Der Verhaltungsbefehl?« fragte Grimaud.
»Ist dieser: den Gefangenen nie allein zu lassen, ihm jedes spitzige oder schneidende Werkzeug wegzunehmen, ihn zu verhindern, daß er den Leuten außerhalb Zeichen gebe oder mit den Wächtern zu lange rede.«
»Ist das alles?« fragte Grimaud.
»Für diesen Augenblick alles«, entgegnete la Ramée. »Wenn es neue Umstände gibt, werden neue Verhaltungsregeln kommen.«
»Wohl«, versetzte Grimaud. Dann trat er in das Gemach des Herzogs von Beaufort. Dieser war eben im Zuge, seinen Bart zu kämmen, den er wie seine Haare wachsen ließ, um Mazarin einen Streich zu spielen und mit seinem schlechten Aussehen Parade zu machen; da er indes einige Tage vorher von der Höhe des Schloßturmes in einer Kutsche die schöne Frau von Montbazon erkannt zu haben glaubte, deren Andenken ihm stets noch teuer war, so wollte er für sie nicht ebenso aussehen wie für Mazarin; er verlangte demnach einen bleiernen Kamm, da er sie wieder zu sehen hoffte, und der Kamm wurde ihm zugestanden. Herr von Beaufort verlangte deshalb einen bleiernen Kamm, weil er, wie alle Blonden, einen etwas roten Bart hatte, und färbte denselben durch das Kämmen. Als Grimaud eintrat, sah er den Kamm, den der Prinz eben auf den Tisch hinlegte; er nahm denselben und verneigte sich. Der Herzog blickte diese seltsame Gestalt verwunderungsvoll an. Die Gestalt schob den Kamm in die Tasche.
»Holla, was soll das heißen?« rief der Herzog; «wer ist denn dieser Schlingel?« Grimaud antwortete nicht, sondern verneigte sich zum zweiten Male, »Bist du stumm?« fragte der Herzog. Grimaud machte ein verneinendes Zeichen, «Was bist du also, gib Antwort, ich befehle es dir«, sprach der Herzog. »Hüter«, antwortete Grimaud.
»Hüter!« rief der Herzog aus. »Gut, diese Galgenfigur hat noch gefehlt zu meiner Sammlung. He, la Ramée! komme!«
Der Gerufene eilte herbei; er wollte eben zum Unglück für den Prinzen nach Paris abreisen, da er sich auf Grimaud verließ; ja, er war bereits im Hofe und kehrte mißvergnügt wieder zurück. »Was, ist's, mein Prinz?« fragte er.
»Wer ist dieser Schuft hier, der mir den Kamm wegnimmt und in seinen schmutzigen Sack steckt,?« fragte Herr von Beaufort. »Gnädigster Herr, es ist einer Ihrer Wächter, ein verdienstlicher Mann, den Sie wie Herr von Chavigny und ich schätzen werden, davon bin ich überzeugt.«
»Weshalb nimmt er mir meinen Kamm?«
»Ja, wirklich!« sprach la Ramée, «warum nehmt Ihr den Kamm des gnädigsten Herrn?«
Grimaud nahm den Kamm aus seinem Sacke, fuhr mit seinem Finger darüber, blickte ihn an, fletschte mit den Zähnen und sprach bloß das einzige Wort: »Spitzig!«
»Das ist wahr«, versetzte la Ramée.
»Was spricht dieses Rind?« fragte der Herzog.
»Daß dem gnädigsten Herrn jedes scharfe Werkzeug von dem Könige verboten ist.«
»Ah so!« rief der Herzog. »Seid Ihr verrückt, la Ramée? Ihr habt mir doch selbst diesen Kamm gegeben.«
»Daran tat ich sehr unrecht, gnädigster Herr; denn ich handelte gegen meine Verhaltungsbefehle, als ich Ihnen denselben gab.« Der Herzog blickte Grimaud wütend an, als er la Ramée den Kamm zurückstellte.
«Ich sehe es im voraus,« murrte der Prinz, »dieser Schurke wird mir höchlichst mißfallen.« Eines Tages bemerkte er unter seinen Wachen einen Mann, der ein ziemlich gutmütiges Gesicht hatte, und diesem schmeichelte er um so mehr, als ihn Grimaud mit jedem Augenblick mehr anwiderte. Als er aber diesen Mann einmal beiseite gezogen hatte und es ihm gelungen war, mit ihm eine Weile unter vier Augen zu sprechen, trat Grimaud ein, sah, was da vorging, näherte sich ehrfurchtsvoll dem Wächter und dem Prinzen und faßte den Wächter am Arme. «Was wollt Ihr?« fragte der Herzog mit rauher Stimme. Grimaud führte den Wächter vier Schritte weit und wies ihm die Tür mit dem Worte: »Geh!« Der Wächter gehorchte.
Weitere Kostenlose Bücher