Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
mit Haß über ein Geschöpf Gottes zückte, seit jenem Tage –-«
Der Scharfrichter hielt inne und schüttelte den Kopf mit verzweiflungsvoller Miene. »Redet,« sprach Francis, der sich an das Bett des Kranken gesetzt hatte und Teilnahme an einer Erzählung zu fassen begann, welche sich auf eine so sonderbare Weise ankündigte. »Ach,« seufzte der Sterbende mit dem ganzen Ausdrucke eines lang unterdrückten Schmerzes, der endlich ausbricht, »ach, ich habe mittlerweile diese Gewissensbisse zwanzig Jahre hindurch mit guten Werken zu besänftigen versucht; ich habe die Grausamkeit abgelegt, welche denen, die Blut vergießen, gleichsam zur Natur geworden ist, und setzte bei jeder Gelegenheit mein Leben ein, um das Leben derer zu erretten, welche in Gefahr schwebten, und so erhielt ich der Welt menschliche Geschöpfe gegen diejenigen, welche ich ihr geraubt habe. Das ist noch nicht alles: ich verteilte die Güter, welche ich in der Ausübung meines Amtes erworben, unter die Armen, ward ein eifriger Besucher der Kirchen, und gewöhnte die Leute, welche mich mieden, daran, mich zu sehen. Alle vergaben mir, einige liebten mich sogar. allein ich fürchte, Gott habe mir nicht vergeben, da mich die Erinnerung an jene Exekution unablässig verfolgt, und mir ist, als ob sich der Geist jenes Weibes allnächtlich vor mir aufrichte.«
Der Sterbende schloß die Augen und erhob ein Stöhnen. Francis fürchtete sicherlich, er möchte sterben, ohne weiter zu sprechen, denn er fuhr rasch fort: »Redet weiter, noch weiß ich nichts, und wenn Ihr Eure Erzählung beendet habt, will ich mit Gott richten.« »Ach, ehrwürdiger Vater« fuhr der Scharfrichter fort, »zumal des nachts und wenn ich irgendeinen Fluß übersetze, verdoppelt sich dieser Schrecken, den ich nicht zu bewältigen vermochte; dann ist mir, als würde meine Hand schwer, und als laste in ihr noch das Richtschwert, als nähme das Wasser die Farbe des Blutes an, und als vereinigten sich alle Stimmen der Natur, das Rauschen der Bäume, das Tosen des Windes, das Plätschern der Wogen, um eine klagende, verzweifelnde, schreckenvolle Stimme zu bilden, welche mir zuruft: 'Laß Gottes Gerechtigkeit walten!'« »Das ist Delirium,« murmelte Francis kopfschüttelnd Der Scharfrichter faßte ihn am Arme, indem er sagte: »Delirium – Ihr sagt Delirium! Ach, nein, es war an einem Abend, ich habe ihre Leiche in den Fluß geworfen – das sind Worte, die mir meine Gewissensbisse wiederholen – ich habe sie in meinem Hochmut ausgesprochen; nachdem ich das Werkzeug der menschlichen Gerechtigkeit gewesen, dachte ich, das der Gerechtigkeit Gottes geworden zu sein. – Es war an einem Abend, wo mich ein Mann aufsuchte, und mir einen Befehl vorzeigte. Ich folgte ihm. Vier andere Herren erwarteten mich. Sie nahmen mich vermummt mit. Ich habe mir stets vorbehalten, mich zu widersetzen, falls mir der Dienst ungerecht schien, den man von mir fordern sollte. Endlich zeigten sie mir durch das Fenster eines kleinen Hauses ein Weib, das sich mit den Ellbogen auf ein Tischlein stemmte, und sagten zu mir: ,Das ist diejenige, welche Ihr hinrichten sollet!'« »Schaudervoll!« rief Francis, »und Ihr habt Folge geleistet?« »Ehrwürdiger Vater, dieses Weib war ein Ungetüm; wie es hieß, hatte sie ihren zweiten Gemahl vergiftet, ihren Schwager umzubringen versucht, der sich unter diesen Männern befand; tags zuvor hatte sie eine junge Frau vergiftet, die ihre Nebenbuhlerin war, und ehe sie England verließ, hatte sie, wie man sagt, den Günstling des Königs ermorden lassen.« »Buckingham?« rief der vorgebliche Mönch. »Ja, ganz richtig, Buckingham.« »Sonach war diese Frau eine Engländerin?« »Nein, sie war Französin, doch hatte sie sich in England vermählt.«
Francis erblaßte, trocknete sich die Stirn und schob an der Türe den Riegel vor. Der Scharfrichter dachte, er wolle ihn verlassen, und sank seufzend auf sein Bett zurück. »Nein, nein, hier bin ich,« erwiderte Francis, und kehrte rasch zurück; »erzählet weiter, wer waren diese Männer?« »Der eine war, wie ich glaube, ein Ausländer, die vier andern Franzosen, welche die Uniform der Musketiere trugen.« »Ihre Namen?« »Ich kannte sie nicht; nur haben die vier anderen Herren den Engländer Mylord genannt.« »War diese Frau schön?« »Jung und schön, ja, besonders schön!« Francis schien auf seltsame Weise tief erschüttert; alle seine Glieder erbebten, man sah es, er wollte eine Frage stellen, doch wagte er es nicht.
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