Zwei Frauen: Roman (German Edition)
etwas ganz anderes in diesen meinen Worten. Sie witterte erotische Morgenluft, und mir blieb nach Monaten des Schweigens nun gar nichts anderes mehr übrig, als ihr endlich über meine früheren Gefühle für Jimmy Porter zu berichten.
»Wat denn?«, lautete ihr Kommentar, denn sie war zutiefst enttäuscht. »Innen Schwulen warse verknallt?«
»Ja.«
»Und?«
»Ohne und«, erwiderte ich, »er hat es nie erfahren. Ich glaube, dass er es geahnt hat, er hat es bestimmt geahnt. Aber wirklich gewusst hat er es nie.«
Claudia wurde immer fassungsloser. »Sich en Schwulen ausgucken, is ja schon schlimm genuch«, meinte sie, »aber den dann noch nich ma wat davon zu sagen … wieso hasse ihn denn nix gesacht?«
Mir wurde ganz übel, als sie das fragte. Am liebsten wäre ich in Tränen ausgebrochen, aber ich riss mich zusammen. »Ich … ich … ich weiß nicht«, stammelte ich stattdessen. »… Ich … ich war wohl … zu stolz.«
»Wat?«
»Ja … er … er hätte mich ja …«
»Auslachen können« hatte ich sagen wollen, aber das brachte ich einfach nicht mehr über die Lippen. Ich würgte nämlich so sehr an diesen beiden Worten, dass ich nur noch mit letzter Kraft die Toilette erreichte, wo ich mich übergab.
KAPITEL 19
Der 24. Dezember 1976 war ein trüber und feuchter Wintertag. Als ich am Morgen erwachte, lagen dichte Dunstschleier über der Stadt. Die Kinderklinik gegenüber konnte ich nur schemenhaft erkennen. Sie erstickte im Nebel.
Am Nachmittag kamen meine Eltern. Seit Doktor Behringer die so genannte »Entwarnung« gegeben hatte, wirkten sie sichtlich vergnügt. Ich aber saß verschlossen und in gewisser Weise auch feindselig in meinem Bett. Mein Vater erkannte das sofort und sagte, was er seit Monaten zu sagen pflegte, wenn er mich so dasitzen sah: »Tja, Eva … du kannst sagen, was du willst … du siehst von Tag zu Tag besser aus!« Dieser Satz war mir vertraut wie Helmas Abführfrage. In meinen Ohren klang er wie die Frechheit des Jahrhunderts. Tag für Tag behauptete mein Vater, er würde das nur sagen, weil es wahr wäre, aber wenn es wirklich wahr gewesen wäre, hätte meine Schönheit bereits derart gleißen müssen, dass jedermann davon geblendet worden wäre.
Dass ich so dachte, sah er mir wohl an, denn er verstummte schlagartig, senkte den Kopf und schlurfte wie ein uralter Mann ans Fenster. Angestrengt blickte er in die anbrechende Dunkelheit.
Derweil tat meine Muter, was sie seit Monaten tat: Sie räumte auf. Sie trug frische Handtücher ins Bad und frische Waschläppchen, sie sortierte meine Schlüpfer, stapelte meine Nachthemden, untersuchte die schmutzige Wäsche auf ausgeleierte Gummibänder, stopfte sie in eine Plastiktüte und war damit einmal mehr von allen Werktätigen dieser Erde die tätigste. Dann setzte sie sich schweißgebadet auf einen Stuhl und versuchte mich anzulächeln.
»Tja, Eva … ja … ja … Eva … mmh …!«
Diese Stoßseufzer waren mir ebenfalls bestens vertraut. Meine Mutter gab sie von sich, um anschließend ein Gespräch über so hochinteressante Dinge wie die Unsterblichkeit des Maikäfers und seine enorme Neigung zur Binnenschifffahrt zu beginnen. Darauf ließ ich mich schon lange nicht mehr ein, und da sie das wohl spürte, seufzte sie nur noch mehr und immer lauter. »Weißt du«, erklärte sie mir schließlich mit leidender Stimme, »ich erwarte ja keine Wunder, Eva. Aber wenigstens ein Wort könntest du doch wohl sagen. Nur ein einziges Wort.«
Ich sah sie nur an, denn diese vorgegebene Genügsamkeit meiner Mutter hatte mich schon immer gestört. Die war nicht echt. Solange ich sie kannte, hatte sie alles gewollt, aber immer so getan, als wäre sie schon mit wenig zufrieden, und das war ein Trick. Während man sich nämlich mühsam dazu durchrang, ihr das Wenige, was sie forderte, zu geben, nahm sie sich den großen Rest, ohne dass man es überhaupt bemerkte.
Aber noch während ich über diesen Trick meiner Mutter nachdachte, verwandelte sie ihr eben noch so perfekt gespieltes Spiel in eine ebenso perfekt gespielte Fröhlichkeit und zog ein teuer verpacktes Präsent aus ihrer Tasche.
»Das hat Oma uns für dich mitgegeben, Eva. Du sollst es zwar eigentlich erst heute Abend auspacken, aber ich dachte mir –«
»Will es gar nicht auspacken!«, fiel ich ihr ins Wort und brach damit zu meinem Entsetzen mein bereits einige Tage durchgehaltenes Schweigen.
Meine Mutter tat so, als hätte sie das gar nicht bemerkt. »Aber Oma hat gesagt«, fuhr
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