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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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sie fort.
    »Interessiert mich nicht, was sie gesagt hat!«
    Meine Mutter nahm das zur Kenntnis.
    »Gut«, flüsterte sie, »wenn du nicht willst …« Dann steckte sie das Päckchen wieder in ihre Tasche und holte gleich aus zum nächsten Streich. Dieses Mal war es schrille Begeisterung, die in ihrer Stimme schwang.
    »Weißt du was?«, meinte sie. »Es wird ja so früh dunkel, Eva, und da könnten wir doch deinen kleinen Tannenbaum –«
    »Den Baum kannst du gern anzünden, Mama, seine Kerzen nicht !«
    Dieser Einwand brachte meine Mutter zum Schweigen. Hilflos und deprimiert saß sie da, blickte in ihren Schoß, um schließlich ganz tief einzuatmen und mich mit jener Frage zu drangsalieren, um die es nun seit fast anderthalb Wochen täglich ging: »Sag, mein Kind, möchtest du nicht doch noch mit nach Hause kommen? Doktor Behringer hat es dir doch angeboten, und es wäre doch auch schön. Ich könnte dir den Hummercocktail machen, den du so gern ißt … willst du nicht doch noch mitkommen, Eva?«
    Bisher hatte ich auf diese Frage noch nie geantwortet, denn ich hatte gehofft, mein Blick würde als Antwort ausreichen. Jetzt war ich es jedoch endgültig leid.
    »Nein!«, erwiderte ich deshalb laut und deutlich. »Ich will nicht nach Hause!«
    »Aber warum denn nicht?«
    »Weil ich halbe Sachen hasse, und das wäre so was Halbes. Zwei Tage zu Hause und dann wieder hierher, das ist doch –«
    »Aber, Eva …«
    »Ich sagte: Nein! «
    Im Grunde schrie ich dieses Nein mehr, als dass ich es sagte. Meine Mutter brach in Tränen aus.
    »Ich liebe dich doch«, schluchzte sie, griff nach meiner Hand und wollte sie streicheln. Ich sah diese Hand meiner Mutter auf meiner eigenen, sah dieses Bild, das mehr war als ein Bild, weil es alles sagte, was unaussprechlich schien, und so schrie ich plötzlich laut auf:
    »Fass mich nicht an!«
    »Aber Kind!«
    »Ich will nicht, dass du mich berührst, ich bin ein Krüppel!«
    »Eva …!«
    »Und ich will nicht, dass mich jemand so sieht!!!«
    »… Schatz …!«
    »Ich will überhaupt nicht, dass mich jemals wieder ein Mensch so sieht!!!«
    »Eva!!!«
    »Nein!!!« Damit stieß ich sie endlich weg, diese Hand meiner Mutter, und rollte mich zusammen, kroch immer tiefer unter mein Oberbett. Mir war so kalt. Ich fühlte mich leer, ausgehöhlt.
    Meine Mutter weinte so laut, dass es mir fast das Herz zerriss, aber sie gab nicht auf, schluchzte immer wieder meinen Namen, versuchte, mich zu berühren.
    Da erklang plötzlich die Stimme meines Vaters, scharf und unerbittlich.
    »Du hast es doch gehört!«, brüllte er meine Mutter an. »Lass sie endlich in Ruhe, Elisabeth – sie hat ja Recht.«
    Das ließ mich aufhorchen. Dass ich in den Augen meines Vaters Recht hatte, kam nämlich so gut wie nie vor. Ungläubig blickte ich zu ihm auf, sah, wie hoch aufgerichtet er dastand, wie sehr er auf mich herabblickte.
    »Ja«, bekräftigte er dann, »du hast völlig Recht mit dem, was du sagst: Du bist ein Krüppel, Eva, ein vollständiger Krüppel.«
    »Aber Ernst!«, mischte meine Mutter sich ein und vergaß dabei vor lauter Schreck sogar zu weinen.
    »Ich kann gut verstehen, dass du dich so nicht zeigen willst.«
    »Aber Ernst, wie kannst du so was sagen?«
    Meine Mutter war aufgesprungen und klammerte sich an meinen Vater, als könnte sie ihn damit am Schlimmsten hindern. Er ließ sich jedoch nicht mehr zurückhalten, dazu war es jetzt zu spät. Er nahm sie aber in die Arme und lächelte sie an.
    »Was ist denn, Elisabeth? Darf ich nicht einmal mehr aussprechen, was ich denke?«
    Meine Mutter schien völlig verstört. Zögernd löste sie sich aus seiner Umarmung und schwankte zu ihrem Stuhl zurück, und dabei ließ sie meinen Vater nicht aus den Augen. Der lächelte noch immer.
    »Das da im Bett«, sagte er dann zu ihr, »das ist nun mal nicht mehr meine Tochter. Meine Tochter Eva war nämlich ganz anders. Die war eine hübsche Larve. Für die war ein Pickel im Gesicht das Ende der Welt und ein Gramm zu viel auf der Waage Anlass für einen hysterischen Anfall. Meine Tochter! … das war der Star der Ballettschule. Die musste schon mit zwölf Jahren Autogramme geben und hat ihren Arsch gedreht wie eine gefüllte Weihnachtsgans.«
    Ich mochte nicht glauben, was ich da hörte. Bis vor wenigen Sekunden hatte ich die ganze Szenerie mit den Augen eines völlig unbeteiligten Zuschauers gesehen. Jetzt musste ich plötzlich begreifen, dass dieses Schauspiel mir zu Ehren veranstaltet wurde, dass von mir die

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