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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Tweed-Rock und eine weiße Bluse. Ihre Füße steckten in schwarzen Pumps, das lange Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten.
    Aber nicht nur äußerlich war sie wie umgewandelt. Sie wirkte auch nervös, sie rauchte eine Zigarette nach der anderen und lief im Zimmer auf und ab. Das gab mir den Rest. Verunsichert sank ich in die weichen Matratzen der Sitzlandschaft – zum ersten Mal in all der Zeit.
    »Was ist?«, fragte Daniela sofort.
    »Nichts!«
    »Nichts, Eva?«
    Ich sah zu ihr auf. »Ich will hier raus!«
    »Warum?«
    »Warum?«, wiederholte ich ungläubig. »Weil ich arbeiten will, tanzen, leben –«
    »Hier lebst du doch auch, Eva!«
    »Das ist aber doch nicht das Gleiche.«
    »Was wäre es dir denn wert, hier herauszukommen?«
    Ich verstand diese Frage zuerst nicht, glaubte dann aber ein verklausuliertes Angebot darin zu entdecken.
    »Alles!«, antwortete ich.
    »Aha! Hat dein Leben einen so großen Wert, Eva?«
    »Ja.«
    »Hast du selbst auch einen Wert?«
    »Ja …«, gab ich zögernd zurück, »… ja!«
    »Dann verrat mir deinen Preis, Eva. Wie viel bist du wert? Fünfzig, hundert, tausend Mark? Und wie viel ist so ein Mädchen wie Claudia wert? Nichts?«
    Unaufhaltsam schossen mir die Tränen in die Augen. »Ich versteh’ nicht«, presste ich nur noch hervor, »ich … ich habe Angst!«
    »Wovor hast du Angst, Eva?«
    »Ich weiß nicht!«
    Daniela hatte sehr schnell und sehr laut gesprochen. Jetzt setzte sie sich zu mir und strich mir das Haar aus der Stirn.
    »Deine Angst kann ich dir nicht nehmen«, sagte sie, »aber sie ist nur ein Gefühl, Eva, glaub mir das. Halt dich an mir fest! Halt dich ganz fest!«
    Sie reichte mir ihre Hand, aber ich brach nur noch in Tränen aus. Wie ein Embryo rollte ich mich zusammen und schluchzte, dass es mich schüttelte. Daniela blieb in meiner Nähe, ich fühlte ihre Wärme. Sie sagte kein Wort, aber sie rührte sich auch nicht von der Stelle. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Als ich noch ein Kind war, hatte meine Mutter in derartigen Fällen immer Kommandos gegeben. Entweder sie hatte gesagt: »Nun wein doch nicht!«, oder sie hatte gesagt: »Wein dich aus!«
    Ich hatte mich also nie wirklich frei entscheiden können. Es galt, dem Kommando zu gehorchen oder genau das Gegenteil zu tun. Beschwerte ich mich darüber, ließ man mich allein. Angeblich wurde ich dann mit meinem Kummer besser fertig.
    »Weinst du deshalb nicht, wenn andere da sind?«, fragte Daniela.
    »Ich weiß nicht.«
    »Weißt du es wirklich nicht?«
    »Ich weiß überhaupt nichts mehr!«
    Dass ich die Wahrheit sprach, war wohl meinem Gesicht anzusehen. Daniela lächelte. Dann stand sie langsam auf, und auch ich erhob mich.
    »Ich werde dir jetzt ein Gedicht vorlesen«, sagte sie und griff zu einem Buch, das schon die ganze Zeit auf dem Schreibtisch gelegen hatte.
    Während sie die richtige Seite suchte, ging ich zum Fenster und blickte hinaus. Der Himmel über dem Stadtpark war wolkenlos, nichts trübte das strahlende Blau. Der Wind spielte mit den kahlen Baumkronen, und auf der Wiese neben dem Teich tollten ein paar Kinder. Das alles schien zum Greifen nahe, und dennoch wurde mir plötzlich klar, dass es für mich unerreichbar war. Es war eine andere Welt.
    »Ich bin, ich weiß nicht wer.
    Ich komme, ich weiß nicht woher.
    Ich gehe, ich weiß nicht wohin.
    Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.«
    Die Worte drangen nicht nur an mein Ohr, sie durchfluteten meinen ganzen Körper, meine Seele. Binnen weniger Sekunden war ich voll von ihnen, drohte überzulaufen.
    »Ich bin nicht fröhlich!«, rief ich.
    Daniela klappte das Buch zu. Ich hörte deutlich, wie die beiden Teile zusammenklatschten, wie die Seiten zusammengepresst wurden. Es war das Ende eines Kapitels, das spürte ich.
    »Weißt du«, sagte sie leise, »ich glaube, dass all jene Menschen nicht fröhlich sind, die wissen. – Du glaubst zu wissen, wer du bist und woher du kommst, … und du fürchtest zu wissen, wohin du gehst …!«
    Die letzten Worte hatte sie sehr sanft gesprochen, so sanft, dass es mich ängstigte. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht. Ich wollte davonlaufen, aber es gelang mir nicht. Da war etwas, was mich zurückhielt. Es lähmte mich, es war stärker als ich.
    »Sag mir, an welches Wort du gerade denkst!«, hörte ich Daniela sagen.
    »Wahrheit!« Es sprudelte nur so aus mir heraus. Nicht ich hatte gesprochen, es war gesprochen worden. Von mir. Daniela sah mich ruhig und liebevoll an. »Lauter,

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