Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
Vom Netzwerk:
Unterrichtsspektrum reichte von Ausbildungs-, Kinder- und Erwachsenenklassen über Damengymnastik, Jazz-Dance und Steptanz bis hin zum Yoga, Frau Grubers Steckenpferd. Nichts liebte sie mehr, als Menschen zu erklären, wie verspannt sie doch wären, als ihnen zu zeigen, wie sie mittels Bauchatmung, Lotussitz und Kopfstand diese Verkrampfungen lösen könnten, als sie mit Phrasen zu bombardieren: »Wir sind vollkommen locker, vollkommen entspannt! – Wir sind frei von jeder Bindung! – Wir sind frisch und gesund!«
    Von all den vielen Rollen, die Frau Gruber im Alltag spielte, war die des Gurus mit Abstand ihre beste. Sie war sich zwar selbst nicht ganz schlüssig, was sie denn da lehrte, ob Buddhismus, Hinduismus oder Zen, aber sie wusste zumindest, dass es sich um eine fernöstliche Religionsrichtung handelte. Ihre Unwissenheit glich sie mit Fanatismus aus: Sie befahl ihren Anhängern, nur ja gute Gedanken zu haben, weil ihnen nur dann der Weg zur Selbsterlösung offen stünde. Hatte doch mal einer gefehlt – was häufig vorkam –, so tröstete sie ihn damit, dass er Fehler, die er in diesem Leben beginge, im nächsten leicht wiedergutmachen könnte – als Präsident der Vereinigten Staaten oder als Regenwurm.
    Natürlich blieben auch mir diese Sprüche nicht erspart. Dass ich eine entschiedene Christin war, hatte Frau Gruber nämlich von Anfang an nicht gepasst. Deshalb sprach sie mich jetzt schon morgens beim Frühstück auf mein »Karma« an, und nach dem Mittagessen versorgte sie mich mit Literatur, die mich einweihen und der »Erleuchtung« näher bringen sollte. War ich abends noch immer nicht bereit zur Reise ins Nirwana, wurde ich lautstark gerügt.
    »Das zeigt mir, Eva, dass du nicht im Einklang bist mit dir selbst, und ein Mensch, der nicht im Einklang ist mit sich selbst, ist zum Scheitern verurteilt und deshalb …«
    Deshalb wurde ich schließlich dazu verurteilt, regelmäßig am Yoga-Unterricht teilzunehmen.
    Ich fügte mich. Ich hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Mein Glaube war fest, und er war das Einzige, was ich mir von Frau Gruber nicht nehmen ließ, das sollte sie Jahre später dann auch begreifen. So lag ich fortan dreimal in der Woche abends zwischen acht und neun auf dem harten, kalten Holzboden in der Ballettschule und hörte mir an, wie Guru Grober mir weismachen wollte, ich läge in Wahrheit auf einer weichen und warmen Wiese. Packte mich darüber der Zorn, wurde mir aufgetragen, meine Seele vom Körper zu lösen; gelang mir das nicht, war ich selbst schuld: Alle anderen waren frisch und gesund, nur ich fühlte mich müde und krank – kein Wunder!
    »Mach nicht so ein Gesicht, Eva, und zieh dich an! Wir gehen in fünf Minuten!«
    Das sagte Frau Gruber nach jeder Stunde laut und deutlich, denn nur das garantierte ihr, dass jeder der Anwesenden noch mindestens eine brennende Frage hatte, die er in diesen kurzen fünf Minuten nun unbedingt noch stellen musste. So wurden aus den fünf Minuten jedes Mal zwei geschlagene Stunden. Guru Grubers Märchenstunden! Man konnte richtig sehen, wie sie dabei aufblühte. Bei gedämpftem Licht saß sie in einem hautengen Ganzanzug aus unschuldig weißer Baumwolle im Schneidersitz vor ihren Anhängern und hielt mit zum Licht passender Stimme lange Vorträge. Dass man viele, viele Opfer bringen müsste, um ihren Entwicklungsstand zu erreichen, behauptete sie, und dann erzählte sie aus ihrem Leben.
    »Ich gehe jeden Abend früh zu Bett, um zu meditieren. Dem Sex habe ich schon mit dreißig abgeschworen, denn der verbraucht Kräfte, die man anderweitig viel sinnvoller einsetzen kann. Ich trinke keinen Alkohol, ich rauche nicht, und Vegetarierin bin ich auch …«
    Nun, Vegetarierin war sie wirklich, die Frau Gruber, und wenn sie Zigaretten rauchte, dann nur solche mit Menthol. Ansonsten waren ihre Behauptungen nichts als Lügen. Den zumeist treu sorgenden Ehefrauen, die zu ihrem Yoga-Unterricht kamen, spannte sie gern die Männer aus, und was den Alkohol anging, so bestellte sie Wein und Cognac immer gleich kistenweise. Mit glasigen Augen saß sie nachts in ihrem feudal eingerichteten Wohnzimmer und ließ sich von ihren so genannten Freunden bewundern. Das waren allesamt merkwürdige Gestalten, und die merkwürdigste von allen war ein Mittvierziger, der sein Haar zartgrau färbte und ondulierte, und der sich vorzugsweise in violette oder fliederfarbene Seide hüllte. Wenn er lief, wogte sein Gesäß wie eine Nussschale auf dem Ozean, wenn er sprach,

Weitere Kostenlose Bücher